Die Anwendbarkeit der Verkehrsvorschriften auf die unterschiedlichen Anlagen des Straßenbahnverkehrs

 

Veröffentlicht in: VERKEHRSdienst 5/1998 S. 116ff. (Heinrich-Vogel-Verlag München)

 

Straßenbahnen sind ein wichtiger Bestandteil eines funktionierenden Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Ballungszentren. Die Verkehrssicherheit von Straßenbahnen ist im Vergleich zur Beförderungsleistung im Individualverkehr um ein Vielfaches höher, zumal ökologische Erwägungen zu Gunsten des ÖPNV sprechen.

Durch die Schienengebundenheit sind nur minimale seitliche Bewegungsspielräume notwendig. Gleichzeitig wird dadurch aber auch ihre Abhängigkeit auf Störungen in ihren Fahrräumen begründet.

Ziel sollte eine vom übrigen Verkehr unabhängige Linienführung sein. Dies ist möglich als besonderer Bahnkörper in den öffentlichen Straßen, oder bei der Anlage unabhängiger Bahnkörper außerhalb von öffentlichen Straßenräumen.

In der Praxis zeigen sich immer wieder Probleme bei der Anwendung der Bestimmungen der Bau- und Verkehrsvorschriften auf die Anlagen des Straßenbahnverkehrs, da wegen der beengten Platzverhältnisse und der unflexiblen Handhabung der Förderrichtlinien (GVFG) auf bestehenden Verkehrsanlagen der Bau besonderer Bahnkörper in vielen Fällen nicht möglich ist.

 

Gesetzliche Bestimmungen

Für den Bau von Anlagen des Straßenbahnverkehrs sowie für die Durchführung des Betriebes mit Straßenbahnen wurden vom Gesetzgeber zahlreiche Bestimmungen und Verordnungen erlassen, welche sowohl von den Verkehrsunternehmen, als auch von den zuständigen Ämtern und Behörden zu beachten sind. Die wichtigsten diesbezüglichen Gesetze sind das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) und das Straßenverkehrsgesetz (StVG). Beide Gesetze beruhen auf Artikel 74 des Grundgesetzes und sind die Grundlage für die Ausführungsbestimmungen für das Verhalten im öffentlichen Straßenraum (StVO) sowie den Bau und den Betrieb von Straßenbahnen (BO-Strab).

Während die Bestimmungen der BO-Strab für den Betrieb von Straßenbahnen immer anzuwenden sind, können die verkehrsrechtlichen Vorschriften nur bei der Mitbenutzung allgemein-öffentlicher Verkehrsanlagen Anwendung finden. Nach der Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) zu § 1 Punkt II findet öffentlicher Verkehr auch auf nichtgewidmeten Straßen statt, wenn diese mit Zustimmung oder unter Duldung des Verfügungsberechtigten allgemein genutzt werden können. Fehlende Absperrmaßnahmen werden in diesen Fällen als stillschweigende Duldung anerkannt. Auf allgemein nutzbaren Flächen hat die zuständige Behörde nach § 44 StVO die Regelungsbefugnis, zur Gefahrenabwehr nach den geltenden Polizeigesetzen der Länder sogar die Regelungspflicht.

 

Richtlinien und Empfehlungen

Für die Gewährleistung eines reibungslosen Betriebsablaufes sind bei der Anlage von Straßen bestimmte Mindestanforderungen an Querschnittsgestaltung, Sicherheitsräume und lichte Räume einzuhalten. Aus der BO-Strab-Lichtraumrichtlinie sind die notwendigen Verkehrsräume für Straßenbahnen zu entnehmen. Verkehrsräume für die anderen Verkehrsarten sind Bestandteil der Empfehlungen für die Anlage von Hauptverkehrsstraßen (EAHV 93). Diese Empfehlungen enthalten auch die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten für die verschiedensten Bahnkörperarten im Straßenraum, welche auf Grundlage der unterschiedlichen Vorschriften erstellt wurden. Zur Vereinfachung bei der Straßenraumgestaltung sind auch Verkehrsräume für Straßenbahnen beigefügt.

Bei der Vergabe von Fördermitteln durch Bund und Länder für Verkehrsanlagen der Straßenbahn wird durch die zuständigen Stellen auch die Richtlinie für die Anlage von Straßen der Teil für den öffentlichen Personennahverkehr, die RAS-Ö, Teil Straßenbahnen, zu Rate gezogen, welche vom Bundesministerium für Verkehr bekanntgegeben wurde. Nur bei Beachtung bestimmter Mindestparameter wird der maximale Zuschuss gewährt.

 

Bahnkörperarten

Bahnkörper werden gemäß § 16 BO-Strab nach ihrer Lage im Verkehrsraum eingeteilt. Dabei unterscheidet man in:

  - straßenbündige Bahnkörper - liegen bündig im Verkehrsraum des übrigen Verkehrs,
  - besondere Bahnkörper - liegen im Straßenraum öffentlicher Straßen und sind durch ortsfeste Hindernisse vom übrigen Verkehr getrennt,
  - unabhängige Bahnkörper - liegen unabhängig vom übrigen Verkehr außerhalb öffentlicher Straßen (hier nicht betrachtet).

Zusätzlich zu diesen Einteilungen können Bahnkörper im Verkehrsraum öffentlicher Straßen liegen und angehoben werden, wobei eine Abtrennung vom übrigen Verkehrsraum nur durch Bordsteine erfolgt. Diese Bahnkörper sollen hier angehobene Bahnkörper genannt werden.

Straßenbündige, besondere und angehobene Bahnkörper haben, bedingt durch ihre Lage, Bezüge und Wechselwirkungen auf andere Verkehrsteilnehmer. Unabhängige Bahnkörper verlaufen unabhängig vom übrigen Verkehr und sind nur an ihren Schnittpunkten mit dem übrigen Verkehr (Bahnübergänge) verkehrsrechtlich relevant.

 

Straßenbündige Bahnkörper

Straßenbündige Bahnkörper liegen mit ihren Gleisen bündig in Straßenfahrbahnen oder in Gehbahnen (vergl. § 16 Abs. 5 BO-Strab). Durch ihre Lage und die daraus resultierende allgemeine Nutzung dieser Verkehrsflächen durch andere Verkehrsteilnehmer ist auf diesen Flächen die StVO bindend. Für den Fahrzeugführer der Straßenbahn ist § 55 BO-Strab maßgeblich, nach er am Straßenverkehr teilnimmt und die betreffenden Vorschriften der StVO zu beachten hat.

Geschwindigkeitsbeschränkungen sind ebenso bindend wie die Vorschriften für die Benutzung von Fußgängerbereichen und verkehrsberuhigten Bereichen. Gleiches gilt auch die Regelungen über die Fahrstreifenbenutzung und den Fahrstreifenwechsel. Fahrbahnmarkierungen, wie bei der Anlage von ÖPNV-Fahrstreifen, heben den Geltungsbereich der StVO nicht auf, sondern dienen, bei ausreichender Beachtung z.B. des ruhenden oder des haltenden Verkehrs, sowie der anderen Verkehrsteilnehmer (z.B. Fuß- und Radverkehr), der Beschleunigung.

Durch diese Mitbenutzung der Gleisanlagen durch den Individualverkehr ist diese Führung des Straßenbahnverkehrs sehr störanfällig. Die Gewährleistung von konstanten Reisezeiten ist daher oft nur mit begleitenden Maßnahmen, wie z.B. Fahrspurreservierung oder Beeinflussung von Lichtzeichenanlagen an Knotenpunkten möglich.

 

Besondere Bahnkörper

Besondere Bahnkörper liegen im Straßenraum öffentlicher Straßen und sind vom übrigen Verkehr durch ortsfeste Hindernisse getrennt (vergl. § 16 Abs. 6 BO-Strab). Durch diese Hindernisse ist der Verkehr anderer Verkehrsarten (auch Fußgänger oder Radverkehr) auf diesen Bahnkörpern nicht möglich. Nutzen z.B. Fußgänger diese Verkehrsanlagen außerhalb der dafür vorgesehenen Stellen (z.B. Querungsstellen), so handeln sie nach § 25 Abs. 5 StVO i.V. mit § 63 Abs. 2 BO-Strab ordnungswidrig.

Durch den ausdrücklichen Ausschluss von allen anderen Verkehrsarten nehmen Straßenbahnzüge auf besonderen Bahnkörpern nicht am Straßenverkehr teil. Der Geltungsbereich der StVO ist durch die Abtrennung der anderen Verkehrsarten ausgeschlossen. Diese Regelung des § 55 Abs. 3 BO-Strab steht im Einklang mit der VwV-StVO zu § 1 Punkt II., wonach die Duldung des Verfügungsberechtigten der Gleisanlage durch bauliche Hindernisse nicht vorliegt.

Wesentliche Hinweise für die Beantwortung der Frage, wo auf besonderen Bahnkörpern die StVO anwendbar ist, werden in der Amtlichen Begründung zur BO-Strab, veröffentlicht in der Bundesrats-Drucksache 74/87, gegeben.

Die Teilnahme der Züge am Straßenverkehr auf besonderen Bahnkörpern beschränkt sie sich auf solche höhengleichen Kreuzungen mit Straßen, Wegen und Plätzen, die nicht als Bahnübergänge gelten (§ 20 Abs. 7 BO-Strab).

Besondere Bahnkörper bieten die größtmögliche Unabhängigkeit der Schienenbahnen im Verlauf von Straßen. Sie sind so zu gestalten, dass durch ihren optischen Eindruck oder durch bauliche Maßnahmen andere Verkehrsteilnehmer nicht zugelassen werden. Der optische Eindruck kann bereits entstehen, wenn durch Raseneinfassung neben dem Bahnkörper oder durch Eindeckung des Bahnkörpers mit Rasen die Zulassung anderen Verkehrs ausgeschlossen erscheint. Reicht dieser Eindruck in der Planung oder bei der Inbetriebnahme des Streckenabschnittes nicht aus, sind zusätzliche bauliche Maßnahmen erforderlich. Dazu eignen sich:

- offenen Gleiskörpergestaltung

- Hecken als Absperrung

- Geländer, Leitplanken

- Baumreihen in Verbindung mit anderen Maßnahmen

 

Angehobene Bahnkörper

Angehobene Bahnkörper sind eine Sonderform der Bahnkörpergestaltung, bei denen die Bahnkörper gegenüber den Fahr- oder Gehbahnen angehoben werden und durch einfache Bordführung abgegrenzt sind. Diese Gestaltung steht im Einklang mit der VwV-StVO zu § 2 Abs. 3, da die Abgrenzung durch einfache, bauliche Maßnahmen möglich ist.

Angehobene Bahnkörper haben den Vorteil, dass der Gleisbereich unter normalen Umständen vom Fahrverkehr freigehalten wird und somit die Straßenbahnführung weitestgehend frei von Störungen erfolgen kann. Im Störungsfall kann die Gleisanlage durch den Fahrzeugverkehr mitgenutzt werden. Daher werden angehobene Bahnkörper auch mit einem geringeren Bordanschlag ausgeführt, um zum einen die Förderfähigkeit der Baumaßnahme nicht zu gefährden und zum anderen den Sicherheitsaspekt beim Überfahren zu beachten. Fußgängerverkehr ist ohne begleitende Maßnahmen auf diesen Bahnkörpern immer zugelassen.

Zu Irritationen kommt es vereinzelt, da Richtlinien und Empfehlungen diese Gestaltungsform als besonderer Bahnkörper bezeichnen. Aus verkehrsrechtlicher Sicht mag diese Bezeichnung einleuchtend erscheinen, die BO-Strab definiert diesen Begriff im § 16 Abs. 6 aber eindeutig und eng.

Wegen dem fehlenden Ausschluss anderer Verkehrsarten, ja sogar der möglichen und gewollten Mitbenutzung dieser Flächen, sind verkehrsrechtliche Vorschriften in vollem Umfang anzuwenden. Besonders die Grundregeln des § 1 StVO, aber auch z.B. die allgemeinen Regeln über die Wahl der Fahrgeschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 und 2a StVO) haben für den Fahrzeugführer der Straßenbahn auf angehobenen Bahnkörpern Bedeutung.

 

Fazit

Die unterschiedlichsten Gestaltungsformen von Verkehrsanlagen für den Straßenbahnverkehr erfordern eine tiefgründige Betrachtung über notwendige verkehrsrechtliche Regelungen bereits in der Planungsphase. Ob solche Regelungen möglich sind ist davon abhängig, ob anderer Verkehr auf diesen Bahnkörpern zugelassen ist oder tatsächlich stattfinden kann.

Der Begriff "besonderer Bahnkörper" ist in der BO-Strab eindeutig definiert. Demzufolge sollten Bahnanlagen ohne eindeutige Abtrennung des anderen Verkehrs auch aus verkehrsrechtlicher Sicht nicht als besondere Bahnkörper bezeichnet werden, da auf diesen Bahnanlagen der Geltungsbereich der StVO nicht ausgeschlossen werden kann. Die in der BO-Strab § 16 Abs. 6 beispielhaft aufgeführten Hindernisse sollten ein Benutzen der besonderen Bahnkörper, besonders auch für den Fußgängerverkehr, verhindern, da nach § 25 Abs. 7 StVO i.V. § 58 Abs. 1 BO-Strab das Betreten von Bahnanlagen unzulässig ist. In Zweifelsfällen ist die Technische Aufsichtsbehörde zu Rate zu ziehen.

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