Die Anordnungspflicht von Notbaumaßnahmen

(Bauing. Joachim Kaube, Dresden)

 

Veröffentlicht in: VERKEHRSdienst 7/1999 S. 149ff. (Heinrich-Vogel-Verlag München)

 

Vielfach behindern Gefahrenstellen, wie eingestürzte Schachtdeckel, Straßeneinläufe oder Wasserrohrbrüche die ohnehin angespannte Verkehrssituation zusätzlich. Da es sich bei der Sicherung und Beseitigung von diesen Schäden um Arbeitsstellen im Sinne der verkehrsrechtlichen Bestimmungen handelt, sind auch diese Maßnahmen anordnungspflichtig. Außerhalb der Arbeitszeit der zuständigen Behörde übernimmt die Anordnung der Polizeivollzugsdienst.

Rechtliche Bestimmungen

Die sichere und ordnungsgemäße Lenkung des Verkehrs ist die aus § 44 Abs. 1 StVO resultierende Aufgabe der Straßenverkehrsbehörde. Dazu gehören auch die Anordnungen zu Verkehrsraumeinschränkungen, wie Baumaßnahmen, Vermessungs- oder Markierungsarbeiten, wenn diese Arbeiten Auswirkungen auf den Straßenverkehr haben können (§ 45 Abs. 6 StVO). Lediglich zur Durchführung von Arbeiten am Straßenkörper oder zur Verhütung von außerordentlichen Schäden an der Straße können die Straßenbaubehörden - vorbehaltlich anderer Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde - nach § 45 Abs. 2 StVO bestimmte Verbote oder Beschränkungen anordnen. Auf Vorfahrtsstraßen oder auf gekennzeichneten Umleitungsstrecken müssen nach § 45 Abs. 7 StVO alle Baumaßnahmen durch die Straßenverkehrsbehörde bestätigt werden. Lediglich bei laufender Straßenunterhaltung oder bei Notmaßnahmen ist die vorherige Zustimmung entbehrlich, wenn es nur zu einer Einengung der Fahrbahn kommt. Die laufende Straßenunterhaltung umfasst nach VwV-StVO u.a. die Beseitigung von Schlaglöchern oder die Pflege und Unterhaltung der Verkehrssicherheitsanlagen. Notmaßnahmen sind demnach z.B. die Beseitigung von Wasserrohrbrüchen oder Kabelschäden.

Sowohl Straßenverkehrs- als auch Straßenbaubehörde dürfen den Verkehr in der Regel nur durch Verkehrszeichen und durch Verkehrseinrichtungen regeln und lenken. Sie haben vor jeder Anordnung einer Verkehrsraumeinschränkung die verwaltungsrechtlichen Bestimmungen der VwV-StVO zu § 45 zu Abs. 2 und zu Abs. 6 zu beachten (wie z.B. die Unterrichtung des Polizeivollzugsdienstes). Die Ausführung der von der zuständigen Behörde erteilten Anordnung obliegt dem Bauunternehmer, bei Straßenbauarbeiten auch dem Straßenbaulastträger.

Nach diesen Grundsätzen handelt nach § 49 StVO ordnungswidrig, wer Hindernisse bereitet oder mit Arbeiten beginnt, ohne zuvor eine Anordnung eingeholt zu haben. Auf kurzfristige oder planbare Ausführungen der Arbeiten kommt es dem Wortlaut der entsprechenden Vorschrift nach nicht an. Entscheidend ist die zuvor eingeholte Anordnung; zweitrangig ist, welche Behörde die Anordnung erteilt hat.

Sichert jemand eine plötzlich auftretende Gefahrenstelle (z.B. Wasserrohrbruch mit Straßenausspülung) um eine Gefahr von Anderen abzuwehren, wird rechtfertigender Notstand (§ 16 OWiG) gerechtfertigt sein (krit. dazu Göhler, OWiG Rn zu § 15 und 16). Da die Übernahme der Sicherung durch die Polizei unmittelbar nach deren Kenntniserlangung erfolgen wird, können diese Sicherungen nur von sehr kurzer Dauer sein.

Sicherheitsaspekte

Von Verkehrsraumeinschränkungen gehen immer Gefahren für die Verkehrsteilnehmer, aber auch für die Mitarbeiter auf der Baustelle aus. Nach dem Grundsatz, dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenstelle schafft, schaffen oder andauern lässt, auch für Vorkehrungen zur Abwendung der daraus resultierenden Gefahren für Dritte zu sorgen hat (BGH vom 18.12.72, VRS 44,325), liegt die Verantwortung zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit in erster Linie bei der Straßenverkehrsbehörde, aber auch bei den Straßenbaubehörden, dem Bau- oder Versorgungsunternehmen und der Polizei.

Damit eine einheitliche Vorgehensweise und eine höchstmögliche Sicherheit an allen Arbeitsstellen gewährleistet werden kann, hat der Gesetzgeber in der VwV-StVO zum § 43 auf die Anwendung der Richtlinie für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA) verwiesen. In der überarbeiteten Ausgabe von 1995 werden Grundsätze für die Vorbereitung, die verkehrsrechtliche Anordnung, die Durchführung und die Überwachung von Sicherheitsmaßnahmen an Arbeitsstellen ausführlich vereinheitlicht. Diese Richtlinie ist zu verwenden und darin gemachte Festlegungen für die Verwaltung bindend.

Regelung bei Notbaumaßnahmen

Notbaumaßnahmen sind Arbeiten, die zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Verkehrssicherheit unbedingt erforderlich sind. Diese, umgangssprachlich als Havarie bezeichneten Störungen der Sicherheit oder Ordnung, sind in vielen Fällen Gefahrenstellen mit Verzug. Gefahr im Verzug bedeutet die Notwendigkeit und Unaufschiebbarkeit des sofortigen Einschreitens (OVG Münster, MDR 1974,170). Dies ist in jedem Fall anzunehmen, wenn bis zum Eingreifen der an sich zuständigen Behörde mit Wahrscheinlichkeit ein Schaden eintreten wird. In diesen Fällen hat die Polizei Handlungszwang nach den entsprechenden Polizeigesetzen zur Gefahrenabwehr. Sie ist nach § 44 Abs. 2 StVO befugt, an Stelle der zuständigen Behörde tätig zu werden. Sie bestimmt dann die Mittel zur Sicherung im Einzelfall, ohne an Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen der StVO gebunden zu sein. Einer vorherigen Anhörung der Straßenverkehrsbehörde oder der Straßenbaubehörde bedarf es in diesen Fällen nicht (VwV-StVO zu § 44 zu Abs. 2 Nr. 2). Von dieser Befugnis macht die Polizei im Regelfall bei Verkehrsunfällen oder ähnlichen kurzzeitigen Störungen Gebrauch.

An Schadenstellen, an denen eine längere Verkehrssicherung notwendig wird, endet die Regelungsbefugnis der Polizei mit der Arbeitsfähigkeit der zuständigen Behörde. Dies ist in den Fällen von größeren Wasserrohrbrüchen mit Straßeneinbruch, Gasrohrbrüchen mit Gasaustritt oder anderen, sofort abzuwehrenden Gefahren gegeben. Störungen in der Telekommunikation oder der Stromversorgung werden kaum mit Gefahr im Verzug zu begründen sein, zumal bei der Stromversorgung durch Umschaltungen die Auswirkungen für die Betroffenen reduziert werden können. Verkehrsbehinderungen, wie in § 44 StVO und VwV-StVO als Handlungsgrundlage benannt, sind von diesen Stellen aus sich heraus kaum zu erwarten.

Um bei Notbaumaßnahmen die kurzfristige Anordnungspflicht der Behörde zu gewährleisten wurde in der RSA Punkt 1.3.1 die Möglichkeit eines vereinfachten Verfahrens vorgeschlagen. Dies soll bei immer wiederkehrenden Arbeitsstellen angewandt werden, bei denen keine wesentlichen Verkehrsbehinderungen und stets gleichartige Sicherungsmaßnahmen zu erwarten sind. Mit diesem Verfahren ist die Zusage der Behörde an ein bestimmtes Unternehmen verbunden, die Prüfung und Anordnung erforderlicher Maßnahmen in der Regel innerhalb von 3 Arbeitstagen vorzunehmen. Diese Verträge führen zu einer Jahresgenehmigung, die nicht mit einer Jahresanordnung zu verwechseln sind. Während eine Genehmigung allgemeine, im voraus getroffene Festlegungen beinhaltet, ist eine Anordnung eine konkrete, für eine bestimmte Örtlichkeit erlassene Gestattung einer Arbeitsstelle.

Eine Anordnung leidet grundsätzlich an einem besonders schwerem Fehler, wenn nur Rahmenbedingungen enthalten sind und die Straßenverkehrsbehörde hoheitliche Befugnisse (Einrichten einer konkreten Arbeitsstelle, Halteverbot nach eigener Wahl) an andere Stellen überträgt (BVerwGE 35,334). Eine Arbeitsstelle im Verkehrsraum darf ohne eine ausreichende verkehrsrechtliche Anordnung nicht eröffnet werden (BGH, NJW 53,4). Eine bloße Zustimmung der Straßenverkehrsbehörde genügt demnach nicht (ausführlich in RSA-Handbuch mit Kommentar, Kirschbaum-Verlag).

Fazit

Notbaumaßnahmen im öffentlichen Verkehrsraum sind, wie planbare Maßnahmen sonst, prinzipiell vor Beginn der Arbeiten durch die Straßenverkehrsbehörde anzuordnen. Lediglich Maßnahmen nach § 45 Abs. 2 StVO, oder unter Beachtung der Bedingungen nach § 45 Abs. 7 (2. Halbsatz) StVO können durch die Straßenbaubehörden angeordnet werden. Auch diese Anordnungen haben vor Beginn der Arbeiten zu erfolgen. Wichtigster Bestandteil der Anordnung von Notmaßnahmen ist die erforderliche Verkehrssicherung (i.d.R. ein Regelplan nach RSA) für den Arbeitsbereich. Die Anordnungen sollten schriftlich erteilt werden und auf der Baustelle zur Kontrolle vorliegen. Die Form und Gestaltung der Anordnung ist rechtlich nicht definiert, jedoch muss eine Nachvollziehbarkeit bei möglichen Rechtsstreiten (wie Schadenersatzansprüchen) gewährleistet werden.

Die Absicherung von Gefahrenstellen im Verzug übernimmt bis zur Arbeitsfähigkeit der zuständigen Behörde die Polizei. In diesen Fällen übernimmt der Polizeibeamte vor Ort die vorläufige Anordnung der Sicherungsmaßnahmen oder er übernimmt die Sicherung persönlich.

An Notmaßnahmen, bei denen es durch die Störung selbst zu keinen Gefährdungen für die Verkehrssicherheit kommt, ist ein Eröffnen einer Arbeitsstelle erst nach ausdrücklicher Zustimmung durch die entsprechende Behörde zulässig. Eine zügige Bearbeitung der entsprechenden Anträge versteht sich von selbst. Jahresgenehmigungen, nach denen die Bauunternehmen sofort mit der Schadenbeseitigung beginnen und die Zustimmung der Behörde erst nach Baubeginn beantragen, sind nach dem Wortlaut des Verkehrsrechtes und nach der Rechtsprechung unzulässig. Derartige Jahresanordnungen, die in einigen Zuständigkeitsbereichen noch Bestand haben, sollten unverzüglich geändert werden, da Haftungsansprüche aus Schadenfällen die unterzeichnende Behörde treffen könnten.

© www.sichereStrassen.de