Straßenbahnen im öffentlichen Verkehrsraum

(Leserbrief)

(Bauing. Joachim Kaube, Dresden)

 

Veröffentlicht in: Polizei - Verkehr - Technik (siehe auch ausführlich in VERKEHRSdienst 5/98 S. 116 ff.

 

Straßenbahnen als Bestandteil eines funktionierenden öffentlichen Personennahverkehrs in Ballungszentren unterliegen sowohl beförderungsrechtlichen Bestimmungen, bei der Mitbenutzung von allgemein-öffentlichen Verkehrsflächen auch den verkehrsrechtlichen Vorschriften.

In der Praxis zeigen sich immer wieder Probleme bei der Anwendung der Bestimmungen der Bau- und Verkehrsvorschriften auf die Anlagen des Straßenbahnverkehrs, da wegen der beengten Platzverhältnisse und der unflexiblen Handhabung der Förderrichtlinien (GVFG) auf bestehenden Verkehrsanlagen der Bau besonderer Bahnkörper in vielen Fällen nicht möglich ist und nur Mischformen gebaut werden können. Wie in PTV 5/99 in der Rubrik "Sie fragen - wir antworten" bereits ausführlich dargelegt, ist eine pauschale und allgemeingültige Einstufung besonderer Bahnkörper kaum möglich. Da aber aufgrund finanzieller Probleme (Förderung der Maßnahmen) und beengter Platzverhältnisse immer mehr Kommunen zu Bahnkörpergestaltungen mit angehobenen Bordsteinen, aber ohne wirksame Fernhaltung anderer Verkehrsteilnehmer, übergehen, sollen hier nochmals Ausführungen zur Bewertung von Bahnkörpern gemacht werden.

 

Rechtliche Bewertung

Besondere Bahnkörper liegen gemäß § 16 Abs. 6 BO-Strab im Straßenraum öffentlicher Straßen und sind durch ortsfeste Hindernisse vom übrigen Verkehrsraum getrennt. Beispielhaft für die Abgrenzung sind Bordsteine, Leitplanken, Hecken oder Baumreihen genannt. Die Praxis zeigt jedoch, dass besonders Bordsteine für eine wirksame Fernhaltung anderer Verkehrsteilnehmer absolut unzureichend sind. Wie auch in Dresden und Bremen, queren Fußgänger diese Bahnanlagen an allen, auch an den in der Planung nicht vorgesehenen Stellen die Gleisanlage. Dieses Queren wird von allen beteiligten Behörden stillschweigend geduldet, da ein Einschreiten nach § 25 Abs. 5 StVO in keiner Form begreifbar wäre. Hinzu kommt, dass auch Fahrverkehr auf diesen Bahnkörpern (wenn auch nur zeitweise bei Störungen) zugelassen und geduldet wird.

Während die Bestimmungen der BO-Strab für den Betrieb von Straßenbahnen immer bindend sind, können die verkehrsrechtlichen Vorschriften nur bei der Mitbenutzung allgemein-öffentlicher Verkehrsanlagen für die Straßenbahnen angewandt werden. Nach der Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) zu § 1 Punkt II findet öffentlicher Verkehr auch auf nichtgewidmeten Straßen statt, wenn diese mit Zustimmung oder unter Duldung des Verfügungsberechtigten allgemein genutzt werden können. Fehlende Absperrmaßnahmen werden in diesen Fällen als stillschweigende Duldung anerkannt. Auf allgemein nutzbaren Flächen hat die zuständige Behörde nach § 44 StVO die Regelungsbefugnis, zur Gefahrenabwehr nach den geltenden Polizeigesetzen der Länder sogar die Regelungspflicht. Verkehrsteilnehmer unterliegen hier immer den Bestimmungen der StVO, es sei denn, baulich wirksame Hindernisse halten sie fern.

Es dürfte demnach unbestritten sein, dass Bahnkörper ohne wirksame Maßnahmen zur Fernhaltung anderer Verkehrsteilnehmer, keine besonderen Bahnkörper im Sinne der § 16 Abs. 6 BO-Strab sein können. Auch eine (nach meiner Auffassung fehlerhafte) Widmungsverfügung kann allgemein nutzbare Bahnkörper nicht in den Stand besonderer Bahnkörpers heben, zumal Widmungsakte in der Regel nach landesrechtlichen Bestimmungen erfolgen (siehe auch VwV-StVO zu § 1 Pkt. III).

 

Praktische Betrachtung

Es ist festzustellen, dass mit derartig gestalteten Bahnkörpern immer wieder Probleme auftreten. Besonders in der polizeilichen Verkehrsüberwachung und Unfallaufnahme führt dies zu nahezu unlösbaren Problemen, zumal der Rechtsprechung (noch) keine Bewertungshinweise zu entnehmen sind.

Unzweifelhaft dürfte sein, dass auf diesen Bahnkörpern die verkehrsrechtlichen Vorschriften in vollem Umfang anzuwenden sind. Diskussionswürdig ist die Frage, welche Ordnungswidrigkeit das Befahren des so gestalteten Bahnkörpers zum schnelleren Vorankommen darstellt. Nach Ansicht des Autors in PTV 5/99 ist das Überfahren des weiß gestalteten Bordsteines nach links eine OWi nach § 41 i.V. 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, da der so gestaltete Bordstein Zeichen 295 der StVO darstellt. Der noch in Anwendung gebrachte Verstoß gegen das Benutzungsgebot der Fahrbahn für Fahrzeuge nach § 2 StVO soll hingegen unbestritten bleiben.

Fraglich, ob das Überfahren des Bordsteines (und somit des Zeichens 295 StVO) nach links eine OWi darstellt. Gemäß StVO § 41 Abs. 3 Nr. 3 (Zeichen 295) kann die durchgehende weiße Linie sowohl Fahrstreifenbegrenzung, als auch Fahrbahnbegrenzung sein. Wäre sie Fahrstreifenbegrenzung - und nur dann ist das Überfahren ordnungswidrig - würde sie den für den Gegenverkehr bestimmten Teil der Fahrbahn oder mehrere Fahrstreifen für den gleichgerichteten Verkehr begrenzen. Dies wird hier nicht der Fall sein, da der Bahnkörper nicht Bestandteil der Fahrbahn ist. Vielmehr soll mit Zeichen 295 der linke Fahrbahnrand begrenzt und der Bahnkörper deutlich sichtbar gemacht werden. Sie ist somit Fahrbahnbegrenzung, deren Überfahrbarkeit nur bei Anordnung auf der rechten Fahrbahnseite in der StVO geregelt wurde. Linke Fahrbahnbegrenzungen sind nicht mit einem Überfahrverbot belegt.

Problematisch wird es, wenn Fahrzeugführer oder Fußgänger diesen Bahnkörper benutzen. Nach Ansicht der Verkehrsunternehmen und teilweise auch der beteiligten Behörden, handelt es sich hier um einen besonderen Bahnkörper nach § 16 BO-Strab, auf denen die verkehrsrechtlichen Vorschriften gemäß § 55 BO-Strab nicht gelten. Daher fahren Bahnen mit stadtbahnnahen Geschwindigkeiten. Verkehrsunfälle sind dann die Folge, da die Bahnen zu spät zum stehen kommen, wenn sie ihre Geschwindigkeit nicht den Bestimmungen des § 3 Abs. 1 StVO anzupassen.

 

Fazit

Der Begriff "besonderer Bahnkörper" ist in der BO-Strab eindeutig definiert. Demzufolge sollten Bahnanlagen ohne eindeutige Abtrennung des anderen Verkehrs auch aus verkehrsrechtlicher Sicht nicht als besondere Bahnkörper bezeichnet werden, da auf diesen Bahnanlagen der Geltungsbereich der StVO nicht ausgeschlossen werden kann. Die in der BO-Strab § 16 Abs. 6 beispielhaft aufgeführten Hindernisse sollten ein Benutzen der besonderen Bahnkörper, besonders auch für den Fußgängerverkehr, verhindern. Bahnkörper ohne bauliche Hindernisse können somit keine besonderen Bahnkörper nach § 16 Abs. 6 BO-Strab sein.

Wegen dem fehlenden Ausschluss anderer Verkehrsarten, ja sogar der möglichen und gewollten Mitbenutzung dieser Flächen, sind verkehrsrechtliche Vorschriften in vollem Umfang anzuwenden. Besonders die Grundregeln des § 1 StVO, aber auch z.B. die allgemeinen Regeln über die Wahl der Fahrgeschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 und 2a StVO) haben für den Fahrzeugführer der Straßenbahn auf angehobenen Bahnkörpern Bedeutung.

Zu Irritationen kommt es vereinzelt, da Richtlinien und Empfehlungen diese Gestaltungsform als besonderer Bahnkörper bezeichnen. Aus verkehrsrechtlicher Sicht mag diese Bezeichnung einleuchtend erscheinen, die BO-Strab definiert diesen Begriff im § 16 Abs. 6 aber eindeutig und eng.

Das Benutzen dieser Bahnkörper durch Fahrzeuge stellt im Normalfall ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 StVO dar. Ein Einschreiten gegen Fußgänger, die den Bahnkörper queren, ist kaum möglich. Ausführliche Hinweise zur rechtlichen Betrachtung aller Bahnkörperarten sind in der Zeitschrift VERKEHRSdienst 5/98 Seite 116 ff enthalten.

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