Fachaufsatz zur Thematik "Verkehrsunfälle" (unredigierte Rohfassung)

veröffentlicht in: "Polizei + Verkehrssicherheit", Heft 3/2002, S. 11 ff.

Autor: Prof. Dr. jur. Dieter Müller, Institut für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen (IVVB)

 

Ein Plädoyer für Geschwindigkeitskontrollen

 

 

1. Die Unfallursache "nicht angepasste Geschwindigkeit" [1]

Keine andere Unfallursache rangiert so unangefochten auf ihrem Platz in der Rangliste der häufigsten Ursachen für Verkehrsunfälle wie diejenige der nicht angepassten Geschwindigkeit, die seit Jahren mit großem Abstand den ersten Rang einnimmt (aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes für die häufigsten durch Fahrzeugführer gesetzten Unfallursachen der vergangenen Jahre in www.statistik-bund.de/basis/d/verk/verktab9.htm ). Die absolute Anzahl der dabei getöteten und verletzten Personen ist nach wie vor immens und drängt zum intensiveren staatlichen Handeln.

Unfallursache "nicht angepasste Geschwindigkeit" durch Fahrzeugführer

Unfallursachen

Einheit

1997

1998

1999

2000

Unfallursachen insgesamt

Anzahl

487.386

472.925

493.527

475.750

Nicht angepasste Geschwindigkeit

Anzahl

91.477

91.716

93.951

88.153

(Quelle: Statistisches Bundesamt unter www.statistik-bund.de/basis/d/verk/verktab9.htm; Stand der Tabelle 26.06.2001; die Zahlen für das Jahr 2000 werden ausdrücklich als vorläufige Ergebnisse klassifiziert).

Auf der anderen Seite ist eine Industriegesellschaft wie die der Bundesrepublik substanziell davon abhängig, dass wirtschaftliche Abläufe zügig vonstatten gehen können (vgl. dazu BMVBW, Verkehrsbericht 2000, S. 22 f., im Ergebnis allerdings überbetont gegenüber den Anliegen der Verkehrssicherheitsarbeit, herunterzuladen aus dem Internet über die Homepage www.bmvbw.de ). Ein reibungslos und zügig ablaufender Verkehrsfluss ist daher auch aus

volkswirtschaftlichen Gründen unverzichtbar für allgemeinen Wohlstand und nachhaltiges Wachstum (zu den negativen Auswirkungen von Personen- und Sachschäden im Straßenverkehr vgl. die beiden im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) durchgeführten aktuellen Untersuchungen von Baum/Höhnscheid, M 102 sowie M 119, nähere Informationen zur Arbeit der BASt unter www.bast.de ).

Vorschriften über Geschwindigkeiten im Straßenverkehr müssen deshalb zwar in erster Priorität in vollem Umfang die Verkehrssicherheit berücksichtigen, aber auf der anderen Seite so flexibel gestaltet sein, dass kein Fahrzeugführer mehr als nach den Umständen unvermeidbar in seinem zügigen Fortkommen behindert wird.

 

2. Die Wahl der angepassten Geschwindigkeit

Jeder Verkehrsteilnehmer bewegt sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit durch den Straßenverkehr. Die tatsächliche Höhe der eigenen Geschwindigkeit ist abhängig von unterschiedlichen objektiven und subjektiven Faktoren. Sie unterliegt faktischen und rechtlichen Grenzen sowie physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Je höher die Geschwindigkeit absolut gesehen, aber auch relativ im Vergleich zu den bisherigen Erfahrungswerten des einzelnen ist, desto mehr Aufmerksamkeit muss von den Verkehrsteilnehmern an den Tag gelegt werden. Um trotz hoher Geschwindigkeit dennoch kontrolliert, sicher und normgemäß am Straßenverkehr teilnehmen zu können, bedarf es eines aufmerksam absolvierten und verantwortungsbewusst angeleiteten Trainings. Keine Gruppe ist in diesem Zusammenhang besser dazu geeignet, dieses Training zu leiten und zu beaufsichtigen, als die Gruppe der Fahrlehrer.

Die Geschwindigkeit ist jeweils nur in dem Rahmen zu wählen, den die äußeren Gegebenheiten des Straßenverkehrs vorgeben. Auch die sichere Wahl der Geschwindigkeit ist oft von einem interaktiven Prozess mit anderen Verkehrsteilnehmern abhängig. So kann auf einer Autobahn nur dann sicher mit einer höheren Geschwindigkeit als derjenigen des vorderen Fahrzeugs überholt werden, wenn der Vordermann nicht z.B. entgegen der Interaktionspflicht (= Pflicht zur Kommunikation) aus § 5 Abs. 4 Satz 1 unvermutet ausschert, um seinerseits ein anderes Kfz zu überholen.

Fahrzeugführer wählen ihre Geschwindigkeiten nach verschiedenen Gesichtspunkten aus. Diese können prinzipiell subjektiv (z.B. nach Gefühl, Stimmung, Gesundheitszustand, Beifahrer), objektiv (z.B. nach Fahrzeugtyp, Straßenzustand, Witterung) oder von beiden Komponenten beeinflusst sein. Von großem Interesse ist das objektiv messbare Geschwindigkeitsverhalten der Fahrzeugführer auf den verschiedenen Straßen (näher dazu Maier/Meewes, Fahrbahnbreite, S. 49 ff., m.w.N. zum Forschungsstand und auch zum folgenden). Außerhalb geschlossener Ortschaften wird auf Straßen, die eben und zügig geführt sind um so schneller gefahren, je mehr die Fahrbahnbreite zunimmt. Innerhalb geschlossener Ortschaften hat die Fahrbahnbreite dagegen keinen oder zumindest keinen nennenswerten Einfluss auf die tatsächlich vom Fahrzeugführer gefahrene Geschwindigkeit.

 

3. Die Überwachung der gefahrenen Geschwindigkeit

Obwohl die Überwachung der gefahrenen Geschwindigkeiten auf den beiden Standbeinen der polizeilichen und kommunalen Überwachungspraxis einen festen Stand innehat, ist insgesamt gesehen kein Rückgang dieser Unfallursache auf einen nachrangigen Platz in der Statistik der Unfallursachen zu erwarten. Viel versprechende Ansätze in der Geschwindigkeitsüberwachung drängen allerdings zu einer weiteren Intensivierung dieses repressiven und daneben aber auch präventiver Ansätze (Meewes, Geschwindigkeitsüberwachung, S. 6 ff.; Lipphard/Meewes, S. 7 ff.; Ellinghaus/Steinbrecher, Verfall, S. 58 ff.; vehement für eine Ausweitung der Repression durch die Polizei Schneider, Mehr Repression, S. 356) [2].

Eine in jeder Hinsicht wünschenswerte verstärkte Kontrolle mittels Anhaltekontrollen scheitert immer öfter an personalen Engpässen der Polizei, die zunehmend augrund politisch motivierter Aufträge verkehrsfremd eingesetzt wird (z.B. im Rahmen von Demonstrationen oder bei Castor-Transporten). Diskutiert wird daher bereits in Ansätzen, die kommunale Verkehrsüberwachung de lege ferenda (= im zukünftigen Recht) auch um die Möglichkeit der Vornahme von Anhaltekontrollen zu erweitern. Diese Alternative ist jedoch aus verschiedenen Gründen entschieden abzulehnen, so u. a. weil das vorhandene und über Jahrzehnte erworbene know how der Polizei im Bereich der mobilen Verkehrsüberwachung derzeit nicht ersetzbar erscheint. Aus- und Fortbildungsanstrengungen, die der Erweiterung der kommunalen Verkehrsüberwachung dienen sollen, wären besser und gewinnbringender für die Verkehrssicherheit in eine personelle Aufstockung der Verkehrspolizei zu investieren.

Im wohl verstandenen Interesse der persönlichen Sicherheit ihrer Fahrschüler ist es verantwortungsbewussten Fahrlehrern in jeder Hinsicht nur zu empfehlen, ihre Schützlinge nicht über das geringe Kontrollrisiko durch die Verkehrspolizei zu informieren.

 

4. Eine wichtige Kontrollstudie

Im Rahmen einer Großuntersuchung des ISK zum Geschwindigkeitsverhalten in den neuen Bundesländern wurden in den Jahren 1991 bis 1993 die Geschwindigkeiten von insgesamt 300.000 Kfz gemessen. Die 37 Messstellen auf Bundes- und Landstraßen befanden sich in den Bundesländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt (zum Vergleich: im gesamten Bundesland Nordrhein-Westfalen befanden sich im Jahr 1993 428 Messstellen mit installierten Gehäusen, in denen reihum nach Bedarf 61 Messgeräte vorübergehend in Betrieb waren, vgl. dazu PVT 1993, S. 146). Dadurch, dass an 22 dieser Messstellen im Verlauf der Messungszeiträume die Fahrbahndecke erneuert wurde, gelang ein Vergleich zwischen dem Fahrverhalten vor und nach der Erneuerung.

Ein Hauptergebnis dieser Studie war die Erkenntnis, dass die auf geraden Streckenabschnitten gewählten Geschwindigkeiten nachts trotz der durch die schlechteren Sichtverhältnisse erhöhten Unfallgefahr im Durchschnitt deutlich höher lagen als die tagsüber gefahrenen Geschwindigkeiten (Lipphard/Meewes, S. 60 f.). Aber auch die anderen Erkenntnisse dieses außerordentlich wichtigen Großversuches bieten eine wichtige Erkenntnisquelle für das Geschwindigkeitsverhalten von Kraftfahrern in ganz Deutschland.

Einige ausgewählte Erkenntnisse sind (nach Lipphard/Meewes, S. 7 ff.):

1. Neue Fahrbahnen bewirken insgesamt einen hohen Geschwindigkeitsanstieg.
2. Nach Fahrbahnerneuerung wird insbesondere in Kurven und an Kreuzungen sehr viel schneller gefahren als zuvor.
3. Auf unverändert gebliebenen Fahrbahnen ergab sich insgesamt ein leichter Rückgang der Geschwindigkeit.
4. Auf Streckenabschnitten, die durch Alleen und Wälder führen, wird ebenso schnell gefahren wie auf freien Abschnitten.
5. Männer fahren insgesamt deutlich riskanter und wesentlich schneller als Frauen.
6. Stationäre und mobile Geschwindigkeitsüberwachung hat auf das Fahrverhalten einen sehr positiven Einfluss.

Entgegen der Zielsetzung der StVO, mittels fest vorgeschriebener Geschwindigkeitsbegrenzungen die von überhöhten Geschwindigkeiten ausgehenden

Gefahren zu minimieren, haben sich unter den Fahrzeugführern informelle Geschwindigkeitsgrenzen heraus gebildet (näher Ellinghaus, Verkehrsvorschriften, S. 187). An dieser Praxis des Auseinanderklaffens zwischen erlaubter und tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit wird deutlich, dass starre Normen nur begrenzt dazu geeignet sind, das Verkehrsverhalten der Verkehrsteilnehmer zu steuern.

 

5. Besonders gefährdete Personenkreise

a) Kinder und Jugendliche

Nach wie vor besonders gefährdet durch die von Führern von Kfz zu hoch gewählten Geschwindigkeiten sind Kinder. Die Zahlen der in Deutschland im Straßenverkehr verunglückten Kinder sind - auch im europäischen Maßstab betrachtet - alarmierend. So bildet Deutschland im EU-Maßstab das Schlusslicht in der absoluten Anzahl der getöteten und verletzten Kinder (Ellinghaus/Steinbrecher, Kinder, S. 11).

Die Ursachen für dieses Ergebnis sind vielschichtig. Ein anschaulicher Modellversuch des Verkehrsclub Deutschland (VCD) in Düren ergab z.B., dass die tatsächlichen Bremswege der Fahrzeuge bei den beiden gefahrenen Geschwindigkeiten von 30 km/h bzw. 50 km/h von nahezu sämtlichen Kindern der Klassenstufe 6 (Alter 12 bis 13 Jahre) unterschätzt wurden (Schneider, Stefanie, fairkehr 4/2000, S. 28). Autofahrer müssen demnach ihre Geschwindigkeiten an diese mangelnden Erfahrungen von Kindern im Umgang mit ihrer Verkehrsumwelt anpassen und nach unten korrigieren (so auch der Grundsatz der besonderen Schutzvorschrift des § 3 Abs. 2 a, die als besondere Sorgfaltspflicht auch gegenüber Hilfsbedürftigen und älteren Menschen gilt, näher dazu unten).

So weit aus räumlichen Gründen keine vollständige Trennung zwischen den verschiedenen Verkehrsarten möglich ist, müssen sämtliche Mittel der Prävention eingesetzt werden, um das Leben und die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen intensiv zu schützen. Dieser verkehrspolitische Leitgedanke gilt sowohl für die Verkehrserziehung der Kinder und Jugendlichen (dazu ISK, Schulwegsicherung, S. 6 f.), die Verkehrsaufklärung der Eltern und Erziehungsberechtigten (ISK, Schulwegsicherung, S. 2 f., 12 f.) sowie für die Nutzung präventiver und repressiver Mittel gegenüber allen Fahrzeugführern als potenziellen Tätern fahrlässiger Körperverletzungen und fahrlässiger Tötungen von Kindern nach den §§ 222, 230 StGB (siehe dazu den Auszug aus dem StGB im Anhang).

Insbesondere die straßenbaulich möglichen Gestaltungsmittel (dazu BMRBS, Kinderfreundliche Umwelt, S. 46 ff.; VdA, Tempo 30-Zonen, S. 5 ff.; ISK, Schulwegsicherung, S. 14 ff.) dürfen in diesem komplexen Zusammenhang einer Strategieplanung gegenüber Kinderunfällen ebenso wenig vernachlässigt werden wie die konsequente Ermittlung von Unfallursachen bei diesen oft besonders tragischen Verkehrsunfällen (ISK, Maßnahmen, S. 15 ff., 147 ff.).

b) Junge Fahrerinnen und junge Fahrer

Ein besonders hohes Gefährdungspotenzial besteht aber auch für die Gruppe der jungen Fahrerinnen und Fahrer hinsichtlich nicht angepasster Geschwindigkeit. Diese Gefahr resultiert insbesondere auf Grund der drei Ursachen gehäufter freizeitbedingter nächtlicher Fahrten, häufigen und gesteigerten Alkoholkonsums und aus psychologischen Gründen (Selbstwertgefühl) bedingter Missbrauch des Fahrzeugs (Schulze, Lebensstil, S. 3, 43). Besonders junge männliche Fahranfänger wählen einen geschwindigkeitsorientierten Fahrstil (Hansjosten/Schade, Legalbewährung, S. 59).

Eine hohe Geschwindigkeit bietet, wegen des damit verbundenen Nervenkitzels ("kick") die Möglichkeit, bestimmte in jungen Jahren bestehende Bedürfnisse zu befriedigen wie etwa im Kampf gegen Langeweile und gestörtes Selbstwertempfinden. Dieser Motivation zum schnellen Fahren ist mit den Mitteln der StVO nur beschränkt zu begegnen. Im übrigen erleben auch schon junge Fahranfänger das fragwürdige "Erfolgserlebnis", mit einer überhöhten Geschwindigkeit, die von staatlicher Seite her unerkannt und ungeahndet bleibt, schneller von A nach B zu gelangen (Schneider, Mehr Repression, S. 357). Sie erlernen durch dieses im Ergebnis mit Zeitgewinn "belohnte Fehlverhalten" ein verkehrswidriges Fahrverhalten, dem nur mittels verstärkter Überwachungstätigkeit und nachfolgender Repression begegnet werden kann (ebenso Schneider, Mehr Repression, S. 356).

Damit sind auch in diesem Zusammenhang wieder verantwortungsbewusste Fahrlehrer gefragt, die schon während der Fahrschule ein künftiges Fahrverhalten vorprägen können. Aber auch während der in vielen Fällen erforderlich werdenden Nachschulungen von auffällig gewordenen jungen Fahrern sollte die Hauptunfallursache der nicht angepassten Geschwindigkeit mit visuellen Hilfsmitteln eindrucksvoll vor Augen geführt werden.

Auch das negative Geschwindigkeitsverhalten junger Fahranfänger drängt zu der Ansicht, das Modell der Fahrausbildung auf mittlere Sicht zweiphasig zu gestalten (siehe dazu schon oben die Erläuterungen zu § 1 sowie Hansjosten/Schade, Legalbewährung, S. 60).

 

6. Mobile und ortsfeste Überwachung der Geschwindigkeit

Da die nicht angepasste Geschwindigkeit unangefochten als Unfallursache Nr. 1 rangiert, ist eine rigide Kontrollpraxis unerlässlich. Im Umkehrschluss bedeutet eine konsequente behördliche Kontrolle auch ein vergleichsweise hohes Niveau an nachfolgenden Rechtsstreitigkeiten (Einspruchquote nach Meewes, Geschwindigkeitsüberwachung, S. 14, zwischen 5 und 10 %). So macht im Ergebnis die Verteidigung von Betroffenen in entsprechenden OWi-Verfahren auch einen guten Teil der Tätigkeit von im Verkehrsrecht tätigen Anwälten aus (so auch Starken, S. 85; die skurrile Stilblüte des eigenhändigen Verteidigungsvorbringens eines Betroffenen mit lesenswerter Ergänzung durch die Redaktion findet sich anschaulich veröffentlicht in PVT 1995, S. 313; ebenso lesenswert der "Ausredenkatalog" von Betroffenen in PVT 1995, S. 337).

Eine leichte Tendenz zu minimal erhöhten Geschwindigkeiten (nach der individuell berechneten Formel: erlaubte Geschwindigkeit plus 10 %) entspricht scheinbar einem allgemeinen gesellschaftlichen Konsens unter Fahrzeugführern, der aber nur so lange reibungslos funktioniert wie es die örtlichen Verkehrsverhältnisse zulassen. Inzwischen reagiert auch der Staat im Rahmen des Opportunitätsgrundsatzes auf diese Praxis, indem eine Verfolgung von Geschwindigkeitsverstößen erst ab einer festgelegten Überschreitungshöhe erfolgt (so nach der VwV-VÜ Sachsen, Anlage 2 unter 2.1.4 "Toleranzen", die bei im Rahmen von technischen Messungen festgestellten Überschreitungen der Geschwindigkeit eine Verfolgung erst bei höheren Differenzen jenseits der Formel von 5 km/h + Toleranzwert beginnen lässt).

Da sich diese Kontrollpraxis im Rahmen des Bereiches von Verwarnungsgeld bewegt, der wie kein anderer Bereich staatlicher Sanktionen von dem Einverständnis des Betroffenen abhängig ist, besteht aus Opportunitätsgründen kein Anlass an der milden Überprüfungspraxis Kritik zu üben. Eine Erhöhung des staatlichen Kontrolldrucks ist jedoch nur dort wirklich sinnvoll, wo erkannte bzw. erwartete Unfallschwerpunkte sichtbar sind.

Die Überwachung der Geschwindigkeit erfolgt mobil oder mit ortsfesten Überwachungsanlagen. Die Gemeinsamkeiten dieser beiden Überwachungsmethoden sind nachfolgend aufgeführt (zitiert nach der Untersuchung von Meewes, Geschwindigkeitsüberwachung, S. 6):

a)
Geschwindigkeitsüberwachung ist nur als dauerhafter Prozess sinnvoll. Wenn nicht (mehr) überwacht wird, gehen die positiven Effekte wieder verloren., d.h. die permanente Sanktionsandrohung ist dort nötig, wo unangemessene Geschwindigkeiten zu Gefahren geführt haben.
b)
Das Geschwindigkeitsniveau sinkt mit der zeit immer weiter ab. Maß und Schnelligkeit der Geschwindigkeitsabnahme hängen von der Erkennbarkeit der Überwachung und dem Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung ab, das vor Beginn der Kontrollen vorhanden war.
c)
Die Überwachung kann sehr positive Effekte bezüglich des Unfallgeschehens haben: Die Unfallrückgänge sind um so größer, je mehr unangemessen hohe Geschwindigkeiten zu hohen Verkehrsgefahren geführt haben.
d)
Geschwindigkeitsüberwachung muss flankiert werden durch eine umfassende integrative Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, eine möglichst hohe Akzeptanz der Kontrollen zu erreichen:
  - zentrale Öffentlichkeitsarbeit von Politik, Verwaltung (und Polizei) und
  - Öffentlichkeitsarbeit "vor Ort" durch polizeiliche Kontrollen mit Anhalten und intensivem Gespräch über die Gefahren zu höher Geschwindigkeiten.
e)
Ob über eine permanente Kontrolle eine dauerhafte Verhaltensänderung erreichbar ist, kann noch nicht ausgesagt werden. Erfolge sind aber jedenfalls zu erzielen, wenn eine möglichst permanente "glaubhafte" Androhung gegeben ist.

 

Eine effektive Überwachung der gefahrenen Geschwindigkeiten funktioniert also lediglich als ein interaktiver Prozess zwischen Überwachenden und Überwachten. Schon von der Grundtendenz her als potenziell störend ist dabei jedoch das hierarchische Verhältnis zwischen den Überwachungsbehörden und den Fahrzeugführern zu betrachten. Eine in jeder Hinsicht wünschenswerte Bekämpfung der Unfallursache "nicht angepasste Geschwindigkeit" wird nur dann erreicht werden können, wenn auf der Fahrerseite Verständnis für eine rigide Kontrollpraxis besteht.

Grundsätzlich ist von behördlicher Seite (Polizei und Kommunen) auf eine weitgehende inhaltliche Akzeptanz der Kontrollmaßnahmen zu achten, unbelehrbare Raser, bei denen eine Akzeptanz niemals erreicht werden kann, wird es jedoch immer geben. Die erwünschte inhaltliche Akzeptanz kann aber nur dann erreicht werden, wenn sich die Kontrollpraxis ausschließlich an dem Ziel orientiert, die Verkehrssicherheit nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern sogar zu erhöhen (so die Ziele der kommunalen Verkehrsüberwachung nach der bislang unveröffentlicht gebliebenen VwV-VÜ Sachsen vom 1.4.1998 unter Nr. 5).

Die Ausführung der Geschwindigkeitsüberwachung durch Polizei und Kommunen wird in allen Bundesländern über Verwaltungsvorschriften geregelt. Nicht alle Bundesländer haben sich bislang dazu entschließen können, ihre die Geschwindigkeitsüberwachung betreffenden Richtlinien, Erlasse und sonstigen Verwaltungsvorschriften zu veröffentlichen (eine Übersicht über die veröffentlichten VwV findet sich bei Starken, DAR 1998, 85 ff., mit Ausnahme der Bundesländer Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen). Eine restriktive Veröffentlichungspraxis ist jedoch kontraproduktiv i.S. der Verkehrssicherheit, da alle Bundesländer auf eine wachsende Akzeptanz von Geschwindigkeitskontrollen abzielen und gerade aus diesem Grund die Transparenz von deren Rechtsgrundlagen fördern sollten (beispielhaft insofern das Bundesland Niedersachsen, das seine "Richtlinien für die Verkehrsüberwachung durch die Polizei" vom 19.5.1980 bereits im Nds. Mbl. 1980, 781 ff., veröffentlichte). Geschwindigkeitskontrolle ist keine Geheimwissenschaft und die Bürger eines Bundeslandes haben aus rechtsstaatlichen Prinzipien heraus einen Anspruch darauf, die in ihrem Land geltenden Richtlinien öffentlich zur Kenntnis nehmen zu können.

Richtlinien über die Geschwindigkeitsmessung haben eine Bedeutung nicht nur für das entsprechende Verwaltungshandeln, sondern auch für nachfolgende Rechtsstreitigkeiten. Sie sorgen für eine Gleichbehandlung der Geschwindigkeitsmessung von Kraftfahrern innerhalb ihres räumlichen Geltungsbereiches.

Auch die Geschwindigkeitsüberwachung ist gebunden an das für das gesamte Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Opportunitätsprinzip (dazu Göhler, § 47 Rn. 1 ff., § 53 Rn. 6). In diesem Sinne sollen entsprechende Richtlinien, dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG folgend, für eine möglichst gleiche Behandlung aller Fahrzeugführer sorgen (im Ergebnis ebenso OLG Oldenburg, VRS 91, 478 ff.). Wird der Gleichheitsgrundsatz durch die polizeilichen und kommunalen Kontrollbehörden nicht ausreichend beachtet, können Bußgeldrichter das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG einstellen (dazu näher Göhler, § 47 Rn. 42).

 

7. Einführende Grundsätze in die Regelungen des § 3

Grundsätzlich dürfen alle Fahrzeugführer nur so schnell fahren, dass von Ihrem Fahrzeug kein erhöhtes Sicherheitsrisiko ausgeht ( zur von dem Betrieb eines Kfz grundsätzlich ausgehenden Gefahr näher Hentschel, § 7 StVG Rn. 4 ff., § 17 StVG Rn. 6 ff.). Fahren Kraftfahrzeugführer schneller als nach den tatsächlichen bzw. rechtlichen Umständen erlaubt, so geht von ihrem Verhalten eine deutlich erhöhte Betriebsgefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs aus und sie haben einen Großteil der von ihnen verursachten Unfallfolgen zu tragen (vgl. dazu die Entscheidungen des KG, VRS 100, 279 ff., für eine i.g.O. gefahrene Geschwindigkeit von 100 km/h ; OLG Karlsruhe, VRS 77, 96 ff., für eine vom Grundsatz des "Fahrens auf Sicht" gem. Abs. 1 abweichende höhere Geschwindigkeit; OLG Köln, VRS 81, 328 ff., für einen Fahrzeugführer, der auf der Autobahn in Höhe eines Autobahnkreuzes bei Nacht mit ca. 200 km/h fährt).

Da aber auch von Radfahrern hohe Geschwindigkeiten erreicht werden können, die im Fall des Zusammenpralls mit Fußgängern zu schwersten Verletzungen führen können, treten zunehmend auch diese Fahrzeugführer nichtmotorisierter Zweiräder als Unfallverursacher auf (siehe dazu den plakativen Fall des OLG Köln VRS 99, 401 ff., mit der Schädigung eines Fußgängers durch einen mit nicht angepasster Geschwindigkeit fahrenden Radfahrer, der sich zudem nicht an das Rechtsfahrgebot hält).

Die Funktion des § 3 ist es, unter Beachtung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG für Leben und Gesundheit der Menschen einen Rahmen für erlaubte Geschwindigkeiten abzustecken, innerhalb dessen sich ein Fahrzeugführer rechtmäßig bewegen kann. Dieser Rahmen bildet den seit einiger Zeit geltenden gesellschafts- und verkehrspolitischen Konsens ab, der jederzeit, bei entsprechend veränderten politischen Mehrheiten veränderbar ist (vgl. dazu den schon als Glaubensfrage politischen Streit der Befürworter des Prinzips "freie Fahrt für freie Bürger" gegen die Anhänger eines Tempolimits auf Autobahnen).

Ist die Geschwindigkeit durch Verkehrszeichen abweichend von § 3 geregelt (z.B. durch die zulässige Höchstgeschwindigkeit gem. Zeichen 274), so gehen die besonderen Geschwindigkeitsbeschränkungen den allgemeinen Regeln gem. § 39 Abs. 3 stets vor [3].

 

Randnummern:

[1] Die im Text gebrauchten Zitate und Quellenangaben beziehen sich sämtlich auf den neuen Kommentar des Autors zur StVO Müller, Dieter, StVO aktuell – Straßenverkehrsordnung mit Kommentar –, Verlag Heinrich Vogel, München, Stand: Juli 2001 (ISBN 3-574-25530-6). Schauen Sie sich auf Wunsch den Kommentar an, lernen Sie dort den Autor näher kennen, indem Sie dem Link: http://www.heinrich-vogel-shop.de unter der Rubrik "Loseblattwerke" folgen.

[2] Sämtliche weiteren Fußnoten sind entnommen aus "StVO aktuell" (Fn. 1).

[3] Die aktuelle und ausführliche Kommentierung zum § 3 StVO finden Sie seit September 2001 im Kommentar des Autors dieses Beitrages StVO aktuell (siehe dazu näher die Fußnote 1). Die hier genannten einführenden Grundsätze sind beispielhaft der Einleitung in die Kommentierung des § 3 entnommen worden.

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