Art der Veröffentlichung: Rezension einer gerichtlichen Entscheidung (Fassung unten = vollständiges Manuskript der später gekürzten Veröffentlichung)

Ort der Veröffentlichung: Neues Polizei Archiv (NPA), Heft 10/2001 Nr. 779

Portraitaufnahmen von Polizeibeamten bei Demonstrationen

S a c h v e r h a l t :

Im Rahmen der Demonstrationen und weiteren politischen Aktionen gegen den Bau der Autobahn A 33 wurde u.a. auch ein Baugelände von Demonstranten besetzt. Während der Besetzung wurden das Gelände und die dort aufgestellten Behausungen polizeilich durchsucht. In einem bewohnten Bauwagen fanden die Polizeibeamten zahlreiche Fotos von verschiedenen Polizeieinsätzen, darunter Portraitaufnahmen von Polizisten sowie eine Reihe von Videobändern. Sämtliches Material wurde zunächst sichergestellt. Nach Ansicht der Beamten bestand die Gefahr eines Verstoßes gegen das Kunsturheberrechtsgesetz. Eine spätere Durchsicht der Videobänder ergab, dass auf zehn von ihnen Polizeieinsätze aufgenommen waren; die restlichen Bänder wurden – ebenso wie eine Reihen von Fotos – an den Bewohner des Bauwagens zurückgegeben.

Der Besitzer des Bauwagens und Eigentümer der Fotos und Videobänder klagte nach für ihn erfolglosem Widerspruchsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Minden auf Aufhebung der Sicherstellungsanordnung. Unmittelbar vor Beginn der mündlichen Verhandlung beantragte er hilfsweise die Rückgabe der zehn Videokassetten mit der Begründung, jedenfalls seien nachträglich die Voraussetzungen für eine Sicherstellung entfallen.

Das VG Minden gab der Klage nicht statt, sondern wies diese als unzulässig zurück. Auf die Berufung wies das Oberverwaltungsgericht Münster die Beschwerde des Klägers zurück.

Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen – PolG NRW - § 43 Nr. 1

Kunsturheberrechtsgesetz - KunstUrhG - §§ 22, 23, 33

1. Das Filmen oder Fotografieren eines polizeilichen Einsatzes begründet allein noch nicht die gegenwärtige Gefahr, die Aufnahmen würden unter Verstoß gegen §§ 22, 23, 33 KunstUrhG (Recht am eigenen Bild) verbreitet. Deuten konkrete Anhaltspunkte auf eine rechtswidrige Verbreitung der Aufnahmen hin, kann die Sicherstellung von Foto- und Filmmaterial gerechtfertigt sein.

2. Zur Zulässigkeit einer Klageänderung im erstinstanzlichen Verfahren (hier: Verzögerung eines entscheidungsreifen Prozesses durch Einführung eines neuen Streitgegenstandes in oder unmittelbar vor der letzten mündlichen Verhandlung).

Oberverwaltungsgericht Münster (Beschluss v. 30.10.2000 - 5 A 291/00 - Verlags-Archiv Nr. 779)

A u s d e n G r ü n d e n :

Die Klage ist mit dem Hauptantrag unzulässig. … (wird ausgeführt)

Die Klage ist unbegründet, soweit der Kläger mit seinem Hauptantrag die Aufhebung der noch bestehenden Sicherstellungsanordnung des Beklagten in Gestalt des Widerspruchbescheides begehrt. Die Sicherstellung der noch streitbefangenen 11 Fotos und 11 Videokassetten war rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten. Einer vorherigen Anhörung des Klägers bedurfte es nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW nicht, weil eine sofortige Sicherstellung wegen Gefahr im Verzug notwendig erschien und der Kläger nicht erreichbar war. Nach § 43 Nr. 1

PolG NRW kann die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren.

Gefahr im polizeirechtlichen Sinne ist ein Zustand, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines Schadens erwarten lässt.

Gegenwärtig ist eine Gefahr, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder wenn eine Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zukunft mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht.

Die danach erforderliche Prognose, ob eine entsprechende Gefahrenlage besteht, hat der einschreitende Polizeibeamte auf Grund der ihm zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu treffen.

Im vorliegenden Fall lagen hinreichende konkrete Anhaltspunkte für die Annahme des die Sicherstellung anordnenden Polizeibeamten vor, es bestehe die gegenwärtige Gefahr, dass der Kläger eine Straftat nach § 33 KunstUrhG begehen könne.

Die polizeiliche Sicherstellung der Fotos und der Videokassetten des Klägers war gerechtfertigt, weil konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Kläger die Fotos und Videoaufnahmen unter Verstoß gegen Vorschriften des Kunsturheberrechtsgesetzes verbreiten oder öffentlich zur Schau stellen werde.

Nur wenn ausnahmsweise konkrete Anhaltspunkte auf eine Verbreitung unter Missachtung des Rechts der Abgebildeten am eigenen Bild hindeuten, kann die Sicherstellung von Foto- und Filmmaterial gerechtfertigt sein.

Solche Anhaltspunkte lagen im Zeitpunkt der Sicherstellung vor. Bei erster Durchsicht der Fotos bestand aus Sicht der Einsatzbeamten des Beklagten der konkrete Verdacht, dass die vorgefundenen Bildnisse von Polizeibeamten in Kreisen der Gegner der A 33 verbreitet würden. Der Begriff der Verbreitung i. S. d. § 22 KunstUrhG ist weiter als der Begriff des Verbreitungsrechts i. S. d. § 17 Urheberrechtsgesetz und umfasst jede Art der Verbreitung, auch wenn sie sich nicht in der Öffentlichkeit, sondern im privaten Bereich vollzieht.

Sowohl das vorgefundene Bildmaterial als auch die Gesamtumstände berechtigten zu der Annahme, dass Vervielfältigungen der von Polizeibeamten gefertigten Nahaufnahmen (etwa in Form von Fotokopien) im Kreis der Gegner der A 33 verbreitet würden. Hierfür spricht, dass die Fotos auf einem von Gegnern der A 33 besetzten Gelände gefunden wurden und die Fotos Polizeibeamte im Zusammenhang mit unterschiedlichen Polizeieinsätzen zeigen. Auf einem Teil der Fotos sind Polizeibeamte in Nahaufnahme abgebildet, ohne dass ein Bezug zu dem jeweiligen Ereignis oder Einsatz zu erkennen ist. Diese Gesamtumstände legten für die Einsatzbeamten den Schluss nahe, dass die zahlreichen Fotos von Polizeibeamten und Polizeimaßnahmen dazu dienten, sich durch Verbreitung dieser Fotos im Kreise der A 33- Gegner und Hausbesetzer auf spätere Polizeieinsätze gezielt "vorzubereiten". Der Kläger hat während des gesamten Verfahrens nicht angegeben, welchen anderen Zweck er mit seiner "Sammlung" von dokumentierten Polizeieinsätzen und Portraitaufnahmen verfolgte. Die Verbreitung der Fotos ermöglichte sowohl eine Identifizierung von zivil eingesetzten Beamten als auch eine Ausspähung von Polizeitaktiken anlässlich von Haus- und Geländebesetzungen.

An der Verbreitung der hier in Rede stehenden Nahaufnahmen von Polizeibeamten bestand auch kein berechtigtes Interesse. Die Verbreitung von Portraitaufnahmen ohne Informationswert für die Empfänger im Zusammenhang mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis widerspricht dem Recht der betroffenen Polizeibeamten am eigenen Bild.

Die zahlreichen Fotos von Polizeieinsätzen im Besitz des Klägers berechtigten die einschreitenden Polizeibeamten darüber hinaus zu der Annahme, dass auch die aufgefundenen Videokassetten – zumindest teilweise – entsprechendes Bildmaterial enthielten. Auf die zutreffenden Ausführungen des VG, die durch das Vorbringen im Zulassungsverfahren nicht entkräftet worden sind, wird verwiesen. Die Sicherstellung war auch verhältnismäßig und ermessensgerecht. Auch insoweit wird auf die Ausführungen des VG Bezug genommen.

Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass das VG den drei Tage vor der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag als nicht sachdienliche Klageänderung nicht zugelassen und die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen hat.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger mit dem zusätzlichen Hilfsantrag zwar keinen völlig neuen Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt. Die Einbeziehung dieses erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags hätte jedoch zu einer Verzögerung des im übrigen entscheidungsreifen Verfahrens geführt. Es hätte insbesondere geprüft werden müssen, ob der Inhalt der zehn sichergestellten Videobänder einer Herausgabe an den Kläger entgegensteht. Die entsprechenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfungen hätten zu einer unangemessenen Belastung und Verlängerung des erstinstanzlichen Verfahrens geführt. Das VG hat daher den Begriff der Sachdienlichkeit nicht verkannt, wenn es unter den dargelegten Umständen die Klageänderung nicht für sachdienlich hielt.

A n m e r k u n g :

Nachdem Verwaltungsgerichte sich lange Jahre mit dem Problem von Pressefotos über Polizeieinsätze beschäftigen mussten, zeigt sich in diesem, vom OVG Münster in klarer Linie entschiedenen Fall eine neue Qualität der Streitigkeiten um das Recht am eigenen Bild. Gerade für Polizeibeamte, die im Rahmen von Großeinsätzen tätig sind, ist es wichtig, die Rechtslage auf diesem Gebiet zu kennen, um zukünftige Eingriffsmaßnahmen auf dem Boden profunder Rechtsanwendung im hier einschlägigen Landespolizeirecht rechtmäßig durchführen zu können. Dies gibt Rechtssicherheit und erleichtert polizeiliche Einsätze.

Inzwischen hat sich unter bestimmten politischen Gruppierungen vornehmlich der militanten alternativen Szene eine Form der Aufklärung polizeilicher Einsätze durchgesetzt, die der polizeilichen Beweisdokumentation in keiner Beziehung nachsteht. So fanden die durchsuchenden Beamten nicht von ungefähr eine regelrechte Kartei über Polizeibeamte und der von ihnen durchgeführten Einsätze vor, die nach unzweifelhafter Erkenntnis der entscheidenden Richter den Wert und die Qualität zu einer weiteren Nutzung im Zuge des Vorgehens gegenüber der Polizei besaß.

Die von Polizeibeamten zur Verhinderung der Verbreitung von Bildern über ihre Einsätze ergriffenen Maßnahmen sind in ihrer Rechtsqualität unterschiedlich zu beurteilen. Da es das vordringliche Ziel ist, die Veröffentlichung und Verbreitung unzulässig hergestellter Bilder zu verhindern, handelt es sich um Maßnahmen der Gefahrenabwehr, die zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgen. Klar war und ist, dass Polizeibeamten ebenso das Recht am eigenen Bild als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG zusteht wie anderen Menschen.

Das Problem des vom OVG Münster zu entscheidenden Falles lag allerdings darin, zu beurteilen, ob die erfolgte Sicherstellung von Portraitaufnahmen bestimmter Polizeibeamter und Filmen polizeilicher Einsätze rechtmäßig erfolgt ist. Dazu war es von der Rechtsgrundlage des § 43 Nr. 1 PolG NRW erforderlich, mit dieser Sicherstellung eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Zu dieser Beurteilung, die von Polizeibeamten regelmäßig während der Durchsuchung innerhalb von wenigen Minuten getroffen werden muss, billigt das OVG den über diese Zwangsmaßnahme entscheidenden Beamten grundsätzlich einen Beurteilungsspielraum zu, innerhalb dessen Beamte eine Prognose an Hand der vorgefundenen Fakten treffen dürfen.

Besteht demnach an Hand konkreter Anhaltspunkte eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass es über die Verbreitung der vorgefundenen Bilder und Filme zu einer Straftat gem. § 33 KunstUrhG und damit zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit kommt, so ist die Gefahr gegenwärtig und die Sicherstellung rechtmäßig.

Wenn die Sachlage so klar wie im Fall des OVG Münster ist, also Portraitaufnahmen gefertigt wurden, die eine dienstliche und private Sicherheit der fotografierten Beamten für die Zukunft bedroht und darüber hinaus auch noch polizeiliche Einsätze in einer Form dokumentiert sind, dass Analysen dieses Materials eine konterkarierende Gegenstrategie von womöglich militanten Demonstranten erst ermöglichen, können die betreffenden Beamten und die eingesetzten Polizeieinheiten für die Zukunft erheblich in ihrer Einsatzfähigkeit behindert bzw. gestört werden.

Diesen taktischen Zielen antidemokratischer Kräfte, die stetig das erlaubte Demonstrationsgrundrecht für ihre rechtswidrigen Zwecke zu unterlaufen versuchen, hat das OVG Münster mit seiner mutigen Entscheidung einen unzweideutigen Riegel vorgeschoben.

Prof. Dr. Dieter Müller, Bautzen

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