Fachaufsatz zur Thematik "Verkehrsprävention"

veröffentlicht in: "Polizeispiegel", Mitgliederzeitschrift der Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund (DPolG), Heft Dezember 2001, Fachteil Bund

Autor: Prof. Dr. jur. Dieter Müller, Bautzen, Fachhochschule für Polizei Sachsen Rothenburg/Oberlausitz

 

Der Verkehrsunterricht gem. § 48 StVO - ein neues Betätigungsfeld für die Polizei ?

 

Einführung

Zunehmend werden u. a. von Seiten der Straßenverkehrsbehörden an die Verkehrspolizei konkrete Anfragen herangetragen, die Durchführung des Verkehrsunterrichts gem. § 48 StVO zu übernehmen. Teilweise hat es die Polizei bereits übernommen, den Verkehrsunterricht durch eigene Angebote sicherzustellen, teilweise unternimmt sie - z. T. gedrängt durch die Politik - erste Schritte in Richtung auf eine entsprechende Einrichtung des Unterrichts.

An dieser Stelle sind kritische Fragen über den Stellenwert, aber insbesondere auch über die rechtlichen Verantwortlichkeiten gestattet, die es der Polizei ermöglichen, sich angemessen und ihrem gesetzlichen Auftrag angepasst zu positionieren. Zuvor jedoch einige grundsätzliche und einführende Anmerkungen.

Die Vorschrift des § 48 StVO über den Verkehrsunterricht führt insgesamt ein unverdientes Schattendasein im deutschen Straßenverkehrsrecht. Sie ist in ihrer konkreten Anwendbarkeit und ihrem praktischen Gebrauchswert für das soziale System Straßenverkehr bislang dogmatisch zu wenig ausgelotet und wird von allen in der Verkehrssicherheitsarbeit tätigen Institutionen insgesamt zu wenig beachtet. Dabei schlummert in dieser Vorschrift ein ungeahntes Potenzial für die Verbesserung der Verkehrssicherheit (1).

Wenig nachvollziehbar ist es, wenn allenthalben über mangelnde Verkehrssicherheit, nachlassende Verkehrsmoral und Verkehrsrowdytum geklagt wird, auf der anderen Seite aber nahe liegende staatliche Reaktionsmöglichkeiten wie der Verkehrsunterricht gem. § 48 weder angemessen beachtet noch zeitgerecht fortentwickelt bzw. situationsbezogen genutzt werden (2).

Der Verkehrsunterricht ist in diesem Zusammenhang zwar eindeutig kein Allheilmittel für die Bewältigung aller Probleme um die Verkehrssicherheit im Straßenverkehr, bietet aber deutliche Potenziale zu wirklichen Chancen auf deren allgemeiner Verbesserung (3) - allerdings nur unter der wichtigen Vorbedingung, dass neue innovative Konzepte entwickelt werden.

Einerlei, wer die Verantwortung für den Verkehrsunterricht auch trägt, so bleibt die Prämisse klar: Verkehrsunterricht ist gelebte Verkehrsprävention in der Form von wirksamer Spezialprävention! (4)

Struktur der Vorschrift

Die klar formulierte, in einen Satz gefasste Vorschrift des § 48 StVO beinhaltet eine Pflichtaufgabe für die Straßenverkehrsbehörden, den Verkehrsunterricht einzurichten.

Bereits der Verordnungsgeber des Jahres 1970 konstatierte, dass über den Verkehrsunterricht "die Meinungen über die Zweckmäßigkeit der Beibehaltung geteilt" seien (5), äußerte sich aber eindeutig zu dessen Sinnhaftigkeit, indem der Bundesminister für Verkehr unmissverständlich feststellte: "Der bloße Umstand, dass (noch) nicht überall geeignetes Personal in ausreichender Stärke zur Verfügung steht, rechtfertigt nicht, eine Einrichtung aufzugeben, die bei vernünftiger Anwendung ein gutes Mittel zu unfallverhütender Aufklärung der Bevölkerung ist." (6)

Eindeutig geht auch die VwV-StVO zu § 48 unter I. davon aus, dass die Einrichtung des Verkehrsunterrichts eine Pflichtaufgabe der Straßenverkehrsbehörde ist, wenn sie formuliert: "Zum Verkehrsunterricht sind auch Jugendliche von 14 Jahren an, Halter sowie Aufsichtspersonen in Betrieben und Unternehmen heranzuziehen, wenn sie ihre Pflichten nicht erfüllt haben". Das Wort "auch" bedeutet im Erst-recht-Schluss, dass die Heranziehungspflicht zuerst für die "Verhaltenssünder" gilt.

Richtet eine Straßenverkehrsbehörde keinen Verkehrsunterricht ein, ignoriert sie damit eine ihrer Pflichtaufgaben.

Wer heute unermüdlich und vollkommen zu recht die nachlassende Verkehrsmoral auf Deutschlands Straßen beklagt, die in einem gleich bleibend hohen Stand der "Verkehrssünder" im Flensburger VZR deutlich wird und auf der anderen Seite eine prinzipiell gut geeignete verkehrspädagogische Einwirkungsmöglichkeit auf Verkehrsrowdys ignoriert, muss sich nicht wundern, dass Unfallzahlen stagnieren.

Straßenverkehrsbehörden, die somit ihre ureigensten Aufgaben vernachlässigen, bedürfen eines Umdenkens und einer Rückbesinnung auf ihre tatsächlich schlummernden Möglichkeiten.

Wenn § 48 auch von "beauftragten Beamten" spricht, die anstatt der Straßenverkehrsbehörde zum Verkehrsunterricht vorladen dürfen, bedeutet diese Formulierung keineswegs eine mögliche Verlagerung der Verantwortlichkeit für die Einrichtung und Durchführung des

Verkehrsunterrichts (7). Diese Auslegung entspricht der grundlegenden sachlichen Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörden für die Ausführung der StVO gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO (8).

Verhaltensdefizite als Eignungsmängel

Eignungsdefizite führen im Regelfall nicht zu einer Anordnung des Verkehrsunterrichts, bedürfen indessen einer Abgrenzung zu Verhaltensfehlern, die zu einer Anordnung des Verkehrsunterrichts führen können.

Bei Verkehrsteilnehmern, die sich den Erfordernissen des modernen Straßenverkehrs nicht oder nicht mehr angepasst verhalten können oder wollen, bestehen auf der Grundlage dieser objektiv sichtbaren und subjektiv wahrnehmbaren Verhaltensdefizite potenzielle Gefahren für ihre Sicherheit und die Sicherheit anderer Personen im Straßenverkehr.

Verhaltensdefizite können allerdings auf den verschiedensten Ursachen beruhen. Handelt es sich bei den möglichen Ursachen z.B. um körperliche Leistungsdefizite, die, wenn sie nicht kompensiert werden oder nicht mehr kompensiert werden können, beinahe zwangsläufig zu Problemen bei der Bewältigung fahrerischer Leistungen führen, ist damit zunächst die Frage der Fahreignung angesprochen. Aber auch bei geistigen und seelischen Defiziten, die grundsätzlich oder auf Zeit bestehen können, sind die Fragen der Kompensation, Besserung und Heilung angesprochen, die ebenfalls als Probleme der Fahreignung angesehen werden können.

Typische Leistungsdefizite tauchen im Straßenverkehr etwa auf im Konzentrationsvermögen auf fahrerische Anforderungen, der Aufmerksamkeit gegenüber dem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer, der Reaktionsfähigkeit auf plötzliche Ereignisse und ganz allgemein bei der Orientierung im Straßenraum (9).

Fahreignungsprobleme können dazu führen, dass Fahrzeugführer den tatsächlichen Anforderungen der Bewältigung des Straßenverkehrs nicht mehr gerecht werden können und dadurch Fahrfehler begehen. Diese Fahrfehler können gleichzeitig Verletzungen verkehrsrechtlicher Regeln darstellen, die ihre Ursachen also in Fahreignungsmängeln finden können. Dennoch bilden diese auf Fahreignungsmängeln beruhenden Regelverletzungen personenbezogen eine Randgruppe unter den Regelverletzern und bilden damit keine Gruppe von Verkehrsteilnehmern, denen Verkehrsunterricht erteilt werden müsste. Allerdings sollten erkannte Fahreignungsmängel in jedem Fall zu einer nachfolgenden Fahreignungsbegutachtung führen. Diese könnte aus präventiven Gründen von der Fahrerlaubnisbehörde angeordnet werden bevor ein Unfall passiert ist, aber auch nach einem Unfall, der seine (erkannte) Ursache in einem Eignungsmangel hatte.

Die Voraussetzung: "Nichtbeachten von Verkehrsvorschriften"

Die Vorschrift über den Verkehrsunterricht ist daher für eine andere Gruppe von Verkehrsteilnehmern konzipiert worden, nämlich für Regelverletzer im Straßenverkehr.

Als Voraussetzung für eine Anordnung und Vorladung zum Verkehrsunterricht fordert der rechtlich sparsam gestaltete § 48 lediglich die Tatsache, dass von der vorzuladenden Person die Verkehrsvorschriften nicht beachtet werden. Nichtbeachten heißt i.d.S. das Zuwiderhandeln gegen Rechtsvorschriften, umfasst jedoch von der Wortbedeutung her nicht grundsätzlich ausschließliche Verstöße gegen mit Sanktionen bedrohte Vorschriften. In jedem Fall muss jedoch der Verkehrsverstoß dokumentiert sein, also eindeutig feststehen (10).

Straßenverkehrsbehörden haben es im Rahmen ihrer Verantwortung für den Verkehrsunterricht zu organisieren, dass ihnen von denjenigen Personen aktuelle Auszüge aus dem VZR vorgelegt werden, die den Adressatemkreis für den Verkehrsunterricht bilden.

Sachlich ist mit der Formulierung des § 48 ein weites Feld angesprochen, das von der fachlichen Breite her grundsätzlich das gesamte Verkehrsrecht umfasst. Die amtliche Begründung zum § 48 grenzt den Kreis der Verkehrsvorschriften, die den Anlass für den Verkehrunterricht geben können nicht ein und auch die VwV-StVO zu § 48 erwähnt unter II. als materielle Grundlage für eine Vorladung lediglich die Tatsache, dass "im Verkehr Fehler begangen" worden sind.

Ist damit also eine große Bandbreite von Verhaltensfehlern angesprochen, besteht die dogmatische Notwendigkeit, den Regelungsgehalt der Vorschrift sinnvoll einzugrenzen, will man nicht die Gefahr laufen, ins uferlose auszuschweifen und dadurch der Vorschrift den konkreten Boden zu entziehen.

Sinnvoll ist es i.d.S., die verschiedenen möglichen Verhaltensfehler zunächst der Schwere der Taten bzw. Tatfolgen nach einzuteilen, um in einem zweiten Schritt der in sinnvoller Auslegung folgenden Frage nachzugehen, bei welchen Taten ein Verkehrsunterricht überhaupt sinnvoll wäre und ob es nicht bei den derart ermittelten Taten bereits andere staatliche Sanktionen oder Reaktionen gibt, neben denen ein zusätzlich angeordneter Verkehrsunterricht inhaltlich nicht mehr sinnvoll ins Gewicht fiele.

Je schwerer jedoch das begangene Delikt die Verkehrssicherheit und damit in erster Linie die Sicherheit für Menschen, vor Verletzungen im Straßenverkehr verschont zu bleiben, negativ beeinträchtigt, desto eher sollten die Täter zu einem straßenverkehrsbehördlichen Verkehrsunterricht vorgeladen werden.

Dies gilt in jedem Fall nach Verkehrsstraftaten, die generell dazu geeignet sind, die Verkehrssicherheit einschneidend zu beeinträchtigen. Gegenüber erwachsenen Tätern bestehen nach Strafrecht, Strafverfahrensrecht und Strafvollzugsrecht keine ausreichenden Möglichkeiten, neben strafrechtlichen Sanktionen mittels präventiver Maßnahmen für ein künftig verkehrsgerechtes Verhalten der Straftäter zu sorgen.

Anders ist dies gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden zu sehen. Haben Jugendliche oder Heranwachsende Verkehrsstraftaten begangen, so können Jugendrichter den Tätern neben anderen Maßnahmen auch eine Erziehungsmaßregel in der Form einer Weisung zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht erteilen. Die Rechtsgrundlage für diese Weisung findet sich in § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 9 JGG (11). Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 JGG bestimmt der Jugendrichter auch die Laufzeit der Weisung, die sich jedoch regelmäßig in der vollständigen Teilnahme am angebotenen Verkehrsunterricht erschöpfen wird.

Aber derselbe Anordnungsgrund für den Verkehrsunterricht gilt auch nach allen Ordnungswidrigkeiten, die dem Gewicht der Zuwiderhandlung folgend im BKat aufgeführt bzw. in den §§ 49 StVO, 69 a StVZO, 75 FEV erwähnt und nicht geringfügig sind. Das Mehrfachtäter-Punktsystem (§§ 4 StVG, 40 ff. FeV) und die damit verbundene Aufarbeitungspraxis mittels Aufbauseminaren und verkehrspsychologischer Beratung sind zwar grundsätzlich dazu geeignet, den in den zahlreichen begangenen Verkehrsverstößen sichtbaren Fahreignungsdefiziten wirksam zu begegnen (12), jedoch bietet ein von behördlicher Seite in professionellem Rahmen angebotener Verkehrsunterricht daneben einen weiteren Ansatzpunkt, auf ein zukünftig regelkonformes Verhalten im Straßenverkehr hinzuwirken.

Das im übrigen in wesentlich zu geringem Umfang als Besinnungsfrist angeordnete Fahrverbot gem. § 25 StVG i.V.m. § 2 BKatV verfolgt (13), da leider ohne verkehrspädagogische Begleitung strukturiert, keinen präventiven Ansatz und erfordert geradezu eine Ergänzung durch Verkehrsunterricht in der laufenden Zeit des Fahrverbots.

Im übrigen werden jedoch durch das Mehrfachtäter-Punktsystem Vielfahrer und Berufskraftfahrer keineswegs strukturell gegenüber weniger fahrenden Fahrzeugführern benachteiligt, da im Sinne eines effektiven Schutzes der Verkehrssicherheit gerade von Fahrern, die überdurchschnittlich große Fahrtstrecken bewältigen müssen, ein erhöhtes Maß an verkehrssicherem Verhalten erwartet werden muss (14).

Wie im Falle des Verkehrsstrafrechts gilt auch im Falle von VerkehrsOWi ein möglicher Sonderweg für Jugendliche und Heranwachsende. Werden nämlich für Jugendliche und Heranwachsende wegen Verletzungen von Verkehrsvorschriften Geldbußen festgesetzt und können diese von den Tätern nicht gezahlt werden, so kann der Jugendrichter nach § 98 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG gegenüber den Delinquenten u. a. auch die Teilnahme an einem Verkehrsunterricht anordnen. In diesem Zusammenhang obliegt es dem Jugendrichter auch, die Art und den Umfang des Verkehrsunterrichts festzulegen (15).

Daneben sollten aber auch Delikte, die sich zwar im Verwarnungsgeldbereich befinden, aber häufig von derselben Person begangen werden, ebenfalls zu einer Anordnung des Verkehrsunterrichts führen können. Aus der Tatsache, dass bestimmte Fahrzeugführer vermehrt Delikte derselben Art begehen, ist nämlich zu schließen, dass es sich um ein andauerndes Fehlverhalten im Straßenverkehr handelt, das einer grundsätzlichen Korrektur bedarf. Große Kreise von Fahrzeugführern bewegen sich in ihrem Fahrverhalten gerade unterhalb der durch den BKat vorgegebenen Grenze und kalkulieren Verwarnungsgelder ohne weiteres in ihr Verkehrsverhalten ein (16). Die bisherigen Versäumnisse in der Dunkelfeldforschung sind hier dennoch immens und bedürfen dringend eines neuen Anstoßes aus der Verkehrspolitik.

Straßenverkehrsbehörden haben nach wie vor ihre Mühen mit der statistischen Erfassung von massenhaft begangenen Delikten im Verwarnungsgeldbereich, so dass ein großer Kreis von insbesondere Geschwindigkeitstätern (§ 3 Abs. 3), ohne weitere Konsequenzen befürchten zu müssen, unbehelligt weiterhin im durch den VwKat eröffneten Rahmen zu schnell fährt.

Von polizeilicher Seite her verwarnte Fahrzeugführer werden im übrigen nicht einmal namentlich statistisch erfasst, so dass die im wesentlichen wünschenswerte Erledigung ihrer verwarnungsfähigen Delikte über das Mittel des polizeilichen ersten Zugriffs (§§ 56, 57

OWiG) tatsächlich im Ergebnis dazu führt, dass tausende von Tätern hinsichtlich ihrer - zugegebenermaßen geringfügigen - Delikte keine weiteren Folgen zu gewärtigen haben. Gerade gegenüber diesen hinsichtlich des mangelnden Kontrolldrucks durch die Polizei und kommunale Überwachungsbehörden genau kalkulierenden und damit generell vorsätzlich handelnden Tätern, die regelmäßig - ein weiterer struktureller Mangel im staatlichen System möglicher Sanktionen - auf Grund des schwierigen Nachweises ihrer Vorsatztaten aus rein verfahrensökonomischen Gründen nur wegen fahrlässiger Verstöße herangezogen werden, wäre eine Anordnung des Verkehrsunterrichts äußerst sinnvoll.

Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde

Auf die Feststellung der genannten einschlägigen Delikte hin, würde von Seiten der Straßenverkehrsbehörde die Konsequenz der Notwendigkeit des Verkehrsunterrichts zu folgern und dieser anzuordnen sein.

Bei dieser Entscheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die sich ausschließlich im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens der Straßenverkehrsbehörde bewegen darf. Pflichtgemäßes Ermessen bedeutet in diesem Fall, dass die Anordnung des Verkehrsunterrichts nur zum Zwecke der Anhebung der Verkehrssicherheit erfolgen darf (17).

Erst die Vorladung durch die Straßenverkehrsbehörde statuiert die Teilnahmepflicht (18).

Sie ist als Verwaltungsakt im Verwaltungsrechtsweg anfechtbar und kann über das Widerspruchsverfahren, Widerspruchsbescheid und Anfechtungsklage bis zum Verwaltungsgericht führen. Der Widerspruch hat zunächst einmal, wenn durch die Straßenverkehrsbehörde nicht ausnahmsweise die sofortige Vollziehung der Vorladung angeordnet worden ist, aufschiebende Wirkung. D.h. so lange über den Widerspruch noch nicht entschieden worden ist, muss der Adressat noch nicht am Verkehrsunterricht teilnehmen.

Das Verwaltungsgericht darf jedoch die Vorladung der Straßenverkehrsbehörde nur auf eine die äußeren Grenzen des Ermessens überschreitende fehlerhafte Ermessenanwendung hin überprüfen. Keineswegs ist es zulässig, dass Verwaltungsgerichte ihr Ermessen an die Stelle des von der Straßenverkehrsbehörde zu praktizierenden Ermessens setzen.

Adressaten des Verkehrsunterrichts

Mit dem erkennbaren und an den verschiedenen bereits verhängten staatlichen Sanktionen ablesbaren Status eines "Verkehrsrechtsbrechers" ist noch nichts darüber ausgesagt, ob sich jeder Täter einer VerkehrsOWi auch als Adressat einer Vorladung zum Verkehrsunterricht eignet. Verkehrsunterricht richtet sich als pädagogisches Angebot von der Sache her nur an diejenigen Täter, die einem Verkehrsunterricht überhaupt zugänglich sind, also prinzipiell Einsicht in ihr jeweiliges Fehlverhalten zeigen.

Auf der Seite der Betroffenen ist also vor der Anordnung des Verkehrsunterrichts zunächst einmal ein sichtbares Ausbildungsdefizit zu fordern, das sich auf bestimmte Verhaltensweisen im Straßenverkehr beziehen muss (19).

Nach II. der VwV-StVO zu § 48 liegen im Regelfall bei den Adressaten folgende Defizite vor:

- unzureichende Kenntnisse der Verkehrsvorschriften,

- unzureichende Beherrschung der Verkehrsvorschriften,

- Nichterfassen der Bedeutung und Tragweite der Verkehrsvorschriften.

Grundsätzlich ist eine Vorladung zum Verkehrsunterricht nur dann notwendig und dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend nur dann rechtmäßig, wenn der Betroffene nachweisbar einer verkehrspädagogischen Belehrung über sein an den Tag gelegtes Fehlverhalten bedarf. Dieses Bedürfnis ist im Falle des Bestreitens durch den Vorgeladenen von der einladenden Verwaltungsbehörde auf den Einzelfall bezogen nachzuweisen, was allerdings an Hand der zuvor begangenen und statistisch festgehaltenen Verkehrsdelikte unproblematisch sein dürfte.

Insbesondere ist eine Anordnung des Verkehrsunterrichts, dem Gedanken der Spezialprävention folgend, auch eine geeignete Maßnahme zur Anhebung der Verkehrssicherheit sowie auch eine erforderliche Maßnahme, da vor deren Anordnung augenscheinlich keine andere ähnlich wirksame Möglichkeit zur Einwirkung auf den einzelnen Täter genutzt werden konnte.

Vorgeladen werden dürfen im übrigen nicht nur Täter, die im fließenden Verkehr gehandelt haben, sondern darüber hinaus auch verantwortliche Personen, die ihrer einschlägigen Aufsichtspflicht nicht oder nicht in dem wünschenswerten Umfang nachgekommen sind. Damit sind auch Fahrzeughalter und deren beauftragte Personen (etwa Fuhrparkleiter) angesprochen, die zumindest ein verkehrswidriges Handeln nachweisbar geduldet haben (20). Die VwV-StVO zu § 48 spricht diesen Personenkreis unter I. in einem zu einengenden Kreis an als "Aufsichtspflichtige in Betrieben und Unternehmen".

In vielen Fällen reicht die Wirkung der Verhängung eines Verwarnungsgeldes, eines Bußgeldes oder gar eines zusätzlich angeordneten Fahrverbotes eben gerade nicht aus, um den Betroffenen zu einer in jeder Hinsicht wünschenswerten Verhaltensänderung zu bewegen (21).

Verkehrsunterricht kann vom Alter der Adressaten her gegenüber allen Tätern angeordnet werden, die 14 Jahre alt und älter sind.

Die Vorladung zum Verkehrsunterricht muss jedoch als Präventivmaßnahme auch auf die Möglichkeit des Adressaten zur Teilnahme Rücksicht nehmen (VwV-StVO zu § 48 unter V.). Eine Anordnung zu ungewöhnlichen Zeiten (etwa Sonntagvormittag) sollte daher vermieden werden und wäre im übrigen unverhältnismäßig (entgegen VwV-StVO zu § 48 unter V.). Würde der Verkehrsunterricht jedoch in den frühen Abendstunden eines Werktages oder am Samtsagvormittag stattfinden, wäre es für die vorgeladenen Personen kaum noch möglich, sich auf der Grundlage terminlicher Probleme herauszureden.

Zweck des Verkehrsunterrichts

Es kann nicht oft genug betont werden, dass der Verkehrsunterricht aus spezialpräventiven Gründen ausschließlich im Interesse einer Steigerung der Verkehrssicherheit angeordnet werden sollte und somit weder als eine Buße noch als eine andere repressive Maßnahme nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht anzusehen ist.

Der Zweck der Vorschrift wird nicht im Text des § 48, wohl aber in der VwV-StVO zu § 48 unter II. genannt. Über die Maßnahme der Belehrung einzelner Täter und von Tätergruppen im Rahmen des Verkehrsunterrichts soll die Verkehrssicherheit insgesamt angehoben werden.

Ein Schwarz-Weiß-Denken i.S.d. gerade in der Kriminologie geführten Grundsatzdebatte zur "Null-Toleranz-Frage" ist jedoch gegenüber dem Instrument des Verkehrsunterrichts in keiner Weise angebracht. Mit den im übrigen nicht sicher zu erwartenden vordergründigen Erfolgen einer Null-Toleranz-Strategie in Sachen Verkehrssicherheit wäre nämlich noch keinerlei Aussage darüber getroffen, ob das Übel eines dauerhaften verkehrswidrigen Verhaltens an seiner Wurzel behandelt würde.

Viel wichtiger wäre es, mit Anordnungen des Verkehrsunterrichts nicht lange zu warten, sondern der Straftat oder Ordnungswidrigkeit auf dem Fuße folgend zu reagieren. Diese Strategie hätte - bundesweit konsequent angewandt - die einmalige Chance in das allgemeine Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer zu gelangen und auf diesem Weg zu konkreten Verhaltensänderungen zu sorgen. Die bislang weitestgehend praktizierte "Pseudo-Toleranz" verkehrswidrigen Verhaltens durch Nichtanwendung des Verkehrsunterrichts bedeutet im Ergebnis nichts anderes, als ein weiteres Absinken der Verkehrsmoral hinzunehmen und damit einen Status quo zu zementieren, der ein Mehr an Verkehrssicherheit allein der verstärkten Zunahme von passiver Sicherheit überantwortet (durch sicherere Konzeption von Kfz bzw. verkehrssicherere Gestaltung des Straßenraumes).

Der beste Effekt für die Verkehrssicherheit wird dem gegenüber nur aus einer Kombination dieser passiven Elemente mit dem Aus- und Fortbildungsprodukt wirklich geläuterter Verkehrstäter aus einem den heutigen Anforderungen gerecht werdenden Verkehrsunterricht zu erreichen sein. Damit ist die Frage der Planung und näheren Ausgestaltung des Verkehrsunterrichts angesprochen.

Planung und Durchführung

Eine ganz wichtige Frage der Umsetzung ist die der Planung und Durchführung des Verkehrsunterrichts. Wird der Unterricht entsprechend qualifiziert vorbereitet und durchgeführt, so ist dieser als gutes Mittel zur unfallverhütenden Aufklärung der betreffenden Klientel anzusehen (22).

Eine bedeutende Voraussetzung für einen derart qualifizierten Verkehrsunterricht ist die pädagogische Eignung der im Verkehrsunterricht tätigen Behördenmitarbeiter, die ohne eine entsprechende Qualitätskontrolle bzw. verständige Anwendung der Elemente des Controlling nicht unbedingt in jedem Fall erfüllt werden dürfte.

Sinnvoll wäre es von Seiten der Straßenverkehrsbehörden, von Fall zu Fall geeignetes Lehrpersonal auf Honorarbasis anzustellen. Hervorragend geeignet sind in diesem Zusammenhang pädagogisch gut geschulte Fahrlehrer, die jedoch in sinnvoller Weise über entsprechende Zusatzqualifikationen und Kenntnisse in der Nachschulung verkehrsauffälliger Fahrzeugführer verfügen müssten oder entsprechend qualifizierte Polizeibeamte, die ebenfalls im Wege der Amtshilfe zur Verfügung stehen.

Dass die Notwendigkeit, Planung und Ausgestaltung des Verkehrsunterrichts wissenschaftlich bislang sehr stiefmütterlich behandelt worden ist, bedeutet nicht nur eine Forschungslücke, sondern vielmehr ein Armutszeugnis der örtlichen und überörtlichen Verkehrspolitik.

Es ist trotz unbestreitbar vorhandener fachlicher Kapazität wegen mangelnder personeller Ressourcen grundsätzlich abzulehnen, dass nunmehr die Polizei die undankbare Aufgabe erfüllen soll, das lange Zeit Versäumte aufzuarbeiten und einen funktionierenden Verkehrsunterricht aufzubauen.

Sanktionen

Zu guter Letzt ein kurzer Blick auf mögliche Sanktionen. Erscheint die vorgeladene Person nicht zum Unterricht, ist dieses Verhalten nur dann gem. § 49 Abs. 4 Nr. 6 StVO mit einem Bußgeld zu ahnden, wenn dieser Verwaltungsakt nicht angefochten oder vorher für unanfechtbar oder sofort vollziehbar erklärt wurde. Das OLG Celle hob eine Bußgeldentscheidung deswegen auf, weil die Verwaltungsbehörde bei einer Vorladung auf die gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO mögliche Anordnung der sofortigen Vollziehung der Vorladung verzichtet hatte (23).

Der Sache nach kann die Nichtteilnahme viele Gründe haben, jedoch dürften der geringe Bekanntheitsgrad dieser Vorschrift und die geringe Bereitschaft der Straßenverkehrsbehörden, diese Vorschrift anzuwenden mit einiger Sicherheit darunter zu finden sein.

Richter, die über eine Ordnungswidrigkeit der Nichtteilnahme am Verkehrsunterricht urteilen müssen, haben über die Voraussetzung der Anordnung eines Verkehrsunterrichts, die aus dem Nichtbeachten von Verkehrsvorschriften besteht, nicht zu urteilen (24).

Fazit

Es ist dringend an der Zeit, dem Verkehrsunterricht den ihm gebührenden hohen Rang im System der Verkehrssicherheitsarbeit einzuräumen. Dies ist eine Aufgabe der Verkehrspolitik, die, politisch von den Trägern der Verkehrssicherheitsarbeit getragen, praktisch durch die Straßenverkehrsbehörden umgesetzt werden muss. Die professionelle Hilfe der Polizei kann durchaus angeboten werden, sollte allerdings nur bei entsprechender entlastender personeller Aufstockung und Kostenneutralität für die Landespolizeien angegangen werden.

 

Randnummern:

(1) Näher zu diesem Aspekt Müller, Dieter, StVO aktuell - Straßenverkehrsordnung mit Kommentar - (Verlag Heinrich Vogel), § 48, S. 485 ff. Die Vorschrift wird in ihrer generellen Anwendung für "grundsätzlich umstritten" gehalten von Stollenwerk, Detlef, VD 1994, S. 221, und von Beck, Wolf-Dieter, Für die Praxis - Anordnung des Verkehrsunterrichts, in: DAR 1993, S. 405.

(2) vgl. dazu, um nur eine kleine Auswahl zu benennen von Seiten der Verkehrspolitik Bundesministerium für Verkehr, Bauen und Wohnen (Hrsg.), Verkehrsbericht 2000, S. 41 f.; von Seiten der Verhaltenswissenschaft Ellinghaus, Dieter/Steinbrecher, Jürgen, Verfall der Sitten?, 25. Uniroyal-Verkehrsuntersuchung, Köln/Hannover 2000, S. 8 ff.; von Seiten der Rechtswissenschaft Berz, Ulrich, Sondermaßnahmen gegen Temposünder?, in: ZRP 1988, S. 204 f., Kettler, Dietmar, Notwendigkeit und Perspektiven einer StVO-Reform, in: NZV 2000, S. 273 ff.; von Seiten der Justiz Geppert, Klaus, Reicht das gesetzliche Instrumentarium zur Verbesserung der Verkehrssicherheit aus?, in: Blutalkohol 1990, S. 24 und von Seiten der Polizei Kraus, Kurt, Inwieweit können repressive Verkehrsüberwachungsmaßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beitragen?, in: PVT 1987, S. 359 ff.

(3) Diese Zielsetzung wird nachdrücklich bereits betont durch von Brunn, Johann Heinrich, Anmerkung zu BVerwG NJW 1971, 261, in: NJW 1971, S. 636 f.. Abzulehnen ist die ignorante Ansicht von Beck (Fn. 1), der in pädagogischer Verkennung der Regelungsziele den Verkehrsunterricht insgesamt für "bedenklich" hält, indem er dessen Zielsetzung in einer "zwangsweisen Erwachsenenerziehung" sieht; a. A. BVerwG, NJW 1971, S. 261, das den Zweck in der "Weitergabe von Kenntnissen" und dem "Wachrufen des Verantwortungsbewusstseins" beim Kraftfahrer sieht.

(4) Ebenso auch VGH München, NZV 1991, S. 207.

(5) Begründung zu § 48 StVO, VkBl 1970, S. 826.

(6) Begründung zu § 48 StVO, a.a.O., ebd.

(7) Unklar insoweit Stollenwerk (Fn. 1), S. 221, der von "die zuständigen Dienststellen spricht" und damit Straßenverkehrsbehörde und Polizei meint.

(8) Auch das Bundesverwaltungsgericht geht von einer alleinigen Verantwortung der Straßenverkehrsbehörde für den Verkehrsunterricht aus, BVerwG, NJW 1971, S. 261.

(9) Zur Notwendigkeit der psychologischen Leistungsüberprüfung Brenner-Hartmann, Jürgen/Bukasa, Birgit, Psychologische Leistungsüberprüfung bei der Fahreignungsbegutachtung, in: ZVS 47 (2001), S. 2 f.; zu entsprechenden psychologischen Testverfahren näher Schubert, Wolfgang/Berg, Michael, Zu einigen methodischen Fragen der Anwendung von psychologischen Testverfahren im Rahmen der Fahreignungsbegutachtung, in: ZVS 47 (2001), S. 10 ff.

(10) So auch Hentschel, Peter, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., München 2001, § 48 StVO, Rn. 10.

(11) Vgl. dazu auch Geppert, S. 28.

(12) Das i.S.d. Verkehrssicherheit kontraproduktive Verfahren der möglichen "Gutschriften" von Punkten im VZR durch vorsorglich absolvierte Aufbauseminare oder verkehrspsychologische Beratungen - gut erläutert bei Hentschel, § 4 StVG, Rn. 20 ff. - mit guten Argumenten ablehnend Geppert, S. 28.

(13) Ebenso wie hier bereits vor Jahren ohne nachhaltige Wirkung gefordert von Berz, S. 206 f., Geppert, S. 28 ff.

(14) So aber tatsächlich vertreten von Hentschel, § 4 StVG, Rn. 2, mit der fragwürdigen Begründung, dass diese Gruppe im statistischen Durchschnitt viel öfter in die Gefahr der Nichtbeachtung von Verkehrsvorschriften geriete.

(15) Göhler, Erich, Ordnungswidrigkeitengesetz, 12. Auflage, München 1998, § 98 Rn. 12.

(16) Siehe dazu nur die überaus deutlichen und einschlägigen Forschungsergebnisse des ISK, die in den wichtigen und erkenntnisreichen Untersuchungen von Lipphard, Detlev/Meewes, Volker, Geschwindigkeitsverhalten in den neuen Bundesländern, Mitteilungen Nr. 35 der Beratungsstelle für Schadenverhütung (jetzt: ISK), Köln 1994 sowie Meewes, Volker, Mobile und ortsfeste Geschwindigkeitsüberwachung, Heft Nr. 34 in der Reihe "Mitteilungen des Instituts für Straßenverkehr", Köln 1993, zum Ausdruck kommen.

(17) Allgemein dazu die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 18, 353 ff.

(18) BVerfG NJW 1967, S. 1221.

(19) Ebenso ein Erziehungsbedürfnis fordert der VGH München, NZV 1991, S. 207; mit guter Begründung in diesem pädagogischen Sinne auch Löhle, Ulrich/Beck, Wolf-Dieter, Fehlerquellen bei Geschwindigkeitsmessungen, in: DAR 1994, S. 480 ff., m.w.N. Zu weit geht das OVG Koblenz, NJW 1965, S. 1733, das für die Gruppe hinreichend informierter Personen eine rechtmäßige Vorladung zum Verkehrsunterricht grundsätzlich verneint; grotesk allerdings die Feststellung des OVG, das den Verkehrsunterricht bei einem Rechtsanwalt nicht als ein geeignetes Mittel ansieht, "dessen Verkehrsdisziplin zu heben".

(20) ebenso wie hier Schurig, Roland, Straßenverkehrs-Ordnung StVO Kommentar, 10. Aufl., Bonn 2001, § 48 StVO, S. 418; Mühlhaus, Hermann/Janiszewski, Horst, Straßenverkehrs-Ordnung, 15. Aufl., München 1998, § 48 StVO, Rn. 3

(21) a.A. Löhle/Beck, S. 481, die mit deutlich aus Verteidigersicht geprägten Argumentation eine von dem Bußgeld ausgehende Wirkung auf den Täter regelmäßig für ausreichend erachten.

(22) Näher dazu Müller, StVO aktuell, § 48, S. 485 ff.

(23) VRS 67, 464.

(24) OLG Karlsruhe, NJW 1972, S. 2096 f.

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